ERG im Fokus


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ERG im Fokus

Herausforderungen, Perspektiven und ein Appell aus der Praxis

An der Forschungstagung «ERG on the Spot» wurde die aktuelle Lage des Fachs Ethik, Religionen, Gemeinschaft eingehend analysiert. Der Beitrag fasst wichtige Beobachtungen aus der Praxis, wiederkehrende Herausforderungen im Schulalltag und konkrete Handlungsempfehlungen aus der Tagung zusammen.
Von Alexandra Binnenkade und Robin Schmidt

Die Themen des Fachs ERG gelten gesellschaftlich als relevant, besonders in der Verknüpfung mit anderen Fächern wie Deutsch und RZG. Die Fachperspektive «Gemeinschaft», der sich die Forschungstagung «ERG on the Spot» im Februar 2024 als Schwerpunkt widmete, bietet vielfältige Anknüpfungspunkte zu politischen Entwicklungen, Diskriminierungserfahrungen und Rollenverständnissen. Auch aktuelle Themen wie der Umgang mit sozialen Medien und künstlicher Intelligenz können im Fach ERG behandelt werden. Diese Themen regen Schüler*innen zur Reflexion über ihre eigene Position in der Gesellschaft an und bieten Gelegenheiten, soziale Verantwortung zu diskutieren.

Trotz dieser anerkannten Relevanz wird das Fach jedoch strukturell gering gewichtet: Es hat keine Prüfungen, keinen Zeugniseintrag und ist mit sehr wenigen Wochenstunden dotiert. Dies führt dazu, dass ERG häufig als «Nebenfach» wahrgenommen wird und nur begrenzt Aufmerksamkeit erhält.

Zudem fehlt es an ausreichend qualifizierten Lehrpersonen. Viele unterrichten ERG fachfremd und verfügen nicht über eine spezifische Ausbildung in diesem Bereich. Eine einheitliche Didaktik fehlt, sodass Unterrichtsinhalte und -methoden stark variieren. Diese Uneinheitlichkeit erschwert die übergreifende Vermittlung und verhindert eine kohärente fachdidaktische Entwicklung.

Herausforderungen im Schulalltag

Ein zentrales Problem ist, dass ERG oft als Klassenstunde missverstanden wird. Diese Wahrnehmung ist historisch gewachsen und führt dazu, dass ERG meist von Klassenlehrpersonen übernommen wird – unabhängig von ihrer fachlichen Qualifikation. Dadurch bleibt das Fach methodisch und inhaltlich oft unzureichend entwickelt.

Selbst engagierte Lehrpersonen sind oft unsicher, inwieweit sie eigene politische, religiöse und gesellschaftliche Überzeugungen in den Unterricht einbringen dürfen. Wo verläuft die Grenze zwischen neutraler Reflexion und persönlicher Wertevermittlung? Kontroverse Themen werden deshalb häufig vermieden. Dies führt dazu, dass zentrale ethische Fragen selten behandelt werden, obwohl sie für die gesellschaftliche Orientierung der Schüler*innen relevant sind.

Fundierten ERG-Unterricht vorzubereiten ist aufwändig. Da das Fach jedoch nur mit einer oder zwei Wochenlektionen (variiert nach Kanton und Schulstufe) verankert ist, steht der notwendige Vorbereitungsaufwand oft in keinem Verhältnis zu anderen Fächern.

Eine Zusammenarbeit unter Lehrpersonen könnte hilfreich sein, doch Fachgruppen existieren nicht an allen Standorten, werden kaum genutzt oder nicht immer von Schulleitungen gefördert. Dies führt dazu, dass Lehrpersonen oft auf sich allein gestellt sind und kein strukturierter Austausch über Unterrichtsmaterialien oder methodische Herangehensweisen stattfindet. Würden die Schulleitungen die Zusammenarbeit der Lehrpersonen und der Fachgruppen besser unterstützen, könnte sich die Qualität des Unterrichts rasch verbessern.

Empfehlungen und Lösungsansätze

Aus diesen Gründen braucht es, um das Fach ERG nachhaltig zu stärken, eine systematische Weiterentwicklung der didaktischen und strukturellen Rahmenbedingungen. Die Tagungsteilnehmenden formulierten hierzu mehrere konkrete Vorschläge:

  • Verpflichtende Weiterbildungen für fachfremde Lehrpersonen: Insbesondere im ersten Unterrichtsjahr sollten Lehrpersonen gezielt auf die Anforderungen des Fachs vorbereitet werden, z.B. mit modularen Fortbildungen oder begleiteten Praxiseinheiten.
  • Förderung der schulübergreifenden Vernetzung: Regelmässige Fachgruppentreffen und schulübergreifende Netzwerke könnten Lehrpersonen dabei unterstützen, Unterrichtsmaterialien auszutauschen und Best-Practice-Ansätze zu diskutieren.
  • Erstellung praxisnaher Lehrmaterialien: Lehrmittel sollten das gesamte Fach ERG abdecken und nicht nur Teilbereiche behandeln. Besonders hilfreich wäre die Integration von Jahresplanungen, um den Einstieg für fachfremde Lehrpersonen zu erleichtern und eine langfristige Unterrichtsstruktur zu ermöglichen.
  • Ressourcen der pädagogischen Hochschulen nutzen: Studierende erarbeiten häufig innovative Unterrichtskonzepte, die jedoch selten in die Praxis überführt werden. Eine systematische Sammlung und Aufbereitung dieser Materialien könnte eine wertvolle Unterstützung für Lehrpersonen darstellen.
  • Interkantonalen Austausch fördern: Aktuell findet nur wenig Austausch zwischen den Kantonen statt. Veranstaltungen wie «ERG on the Spot» zeigen, dass ein überregionaler Dialog wertvolle Synergien schaffen kann.
  • Mehr Unterstützung von Schulleitungen: ERG sollte strukturell aufgewertet werden, indem Fachgruppen gezielt gefördert und zeitliche sowie finanzielle Ressourcen für die Unterrichtsgestaltung bereitgestellt werden.

Fazit

Das Fach ERG ist gesellschaftlich relevant und bietet wertvolle Anknüpfungspunkte für aktuelle ethische, religions- und diversitätsbezogene Herausforderungen. Damit diese Relevanz auch im Schulalltag sichtbar wird, sind strukturelle Veränderungen notwendig. Eine verbindliche Didaktik, gezielte Weiterbildungen und die langfristige Förderung von Fachgruppen und Netzwerken ermöglichen ERG-Lehrpersonen, den Schüler*innen, sich dank innovativer Unterrichtsansätze und ausserschulischer Projekte mit zentralen gesellschaftlichen und ethischen Fragen auseinanderzusetzen.

Artikelnachweis
Binnenkade, Alexandra und Schmidt, Robin (2025). ERG im Fokus: Herausforderungen, Perspektiven und ein Appell aus der Praxis, in: erg.ch – Materialien für das Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (Online-Publikation), www.ethik-religionen-gemeinschaft.ch/alexandra-binnenkade-robin-schmidt-erg-im-fokus

Über Robin Schmidt

Dr. Robin Schmidt ist Dozent für Ethik, Religionen, Gemeinschaft und Philosophie und ihre Didaktik, Fachkoordinator ERG und Leiter des Forschungsprojekts "Teacher Agency in Digital Literacy & Ethics Education" an der PH FHNW.

Über Alexandra Binnenkade

PD Dr. Alexandra Binnenkade lehrt und forscht im Bereich der neusten Geschichte am Departement Geschichte der Universität Basel. Sie unterrichtete in der Ausbildung von Lehrpersonen im Fach RZG und begleitet als Didaktikerin Lehrpersonen in den Fächern NMG, RZG und ERG am Pädagogischen Zentrum PZ.BS in Basel.