Orientierung für das Unterrichten von ERG und BNE
Rezension von «Fachdidaktische Zugänge Ethik, Religionen, Gemeinschaft mit Bildung für Nachhaltige Entwicklung»
Die fünfbändige Publikation mit fachdidaktischen Zugängen zu den Fachbereichen Ethik, Religionen, Gemeinschaft (ERG) sowie zur Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) im Rahmen des Deutschschweizer Lehrplan 21 hält, was sie verspricht: Sie stellt «vielfältige Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen der Fachbereiche» vor, verbindet dabei fachdidaktische Grundlagen mit Praxisbeispielen und regt so für die Aus- und Weiterbildung dazu an, «Erfahrungen von Lehrpersonen mit theoretischen Grundlagen und einer weiteren Community ins Gespräch zu bringen und Unterricht zu entwickeln», wie es im Klappentext heisst. Das Interesse liege dabei nicht auf den curricularen und organisatorischen Fragen dieser komplexen Fachkonstruktion, sondern auf den «inhaltlich-fachdidaktischen Fragen des Unterrichts» und den «Zugänge[n] zur Erkenntnis der Welt und zu ihrer Gestaltung durch den Menschen» (vgl. Band Grundlagen, S. 11).
Tatsächlich bietet die Publikation eine äusserst überzeugende Verzahnung zwischen breiten theoretischen Zugängen aus den einschlägigen Fachdidaktiken und Bezugswissenschaften auf der einen sowie vielfältigen Beispielen aus der Unterrichtspraxis auf der anderen Seite – von aufschlussreichen Gesprächstranskripten über anschauliche Schüler:innenprodukte bis hin zu differenzierten Sequenzanalysen und Projektbeschreibungen. Dabei wird die gesamte obligatorische Schulzeit adressiert, für die ERG vorgesehen ist (zwei Jahre Kindergarten, sechs Jahre Primarschule, drei Jahre Sekundarstufe I). Vielfältige praktische Anregungen und theoretisch informierte Diskussionsanstösse bieten die Bände auch über den Deutschschweizer Kontext hinaus. Einschlägig sind sie etwa für den Unterricht an Grundschulen und in der Sekundarstufe I in Fächern wie Ethik, Praktische Philosophie, Werte und Normen oder Lebensgestaltung, Ethik, Religion (LER) in zahlreichen deutschen Bundesländern sowie generell für Unterricht zu BNE im deutschsprachigen Raum.
Die Publikation umfasst jeweils gut 70-seitige Bände zu den drei Fachbereichen von ERG und zum Bereich BNE sowie einen etwa doppelt so umfangreichen Grundlagenband. Die Bände zu den Fachbereichen und zu BNE folgen alle demselben transparenten Aufbau: In einer kurzen Einleitung werden ausgehend von einem Gesprächsauszug aus der Schulpraxis eine knappe Einordnung des jeweiligen Fachbereichs sowie ein Überblick zu den Beiträgen im Band gegeben. Die Einleitungen enthalten zudem kurze Hinweise zur Arbeit mit dem Band, in denen insbesondere dazu angeregt wird, die vorgestellten Praxisbeispiele zur Fallarbeit im Kontext von Aus- und Weiterbildung zu verwenden. Es folgen jeweils acht bis neun Beiträge im Umfang von fünf oder sechs Seiten. Verfasst wurden sie von rund 40 Forschenden und Lehrenden an pädagogischen Hochschulen und Schulen in der Schweiz.
Die Beiträge umfassen jeweils fachdidaktische oder fachwissenschaftliche Hintergründe und ein Praxisbeispiel samt Reflexion. Der Fokus liegt dabei stets auf einer fachtypischen Denk-, Arbeits- und Handlungsweise oder auf einem für den Bereich grundlegenden methodischen Zugang. Im Ethik-Band sind das etwa: ein philosophisches Gespräch führen, philosophische Fragen stellen, Begriffe klären und gemeinsam argumentieren; im Religionen-Band z. B.: mit Interviews Menschen und ihren Weltsichten begegnen, eine religionskundliche Fachsprache aufbauen und durch Reflexionsgespräche Pluralitätsfähigkeit üben. Auf diese Weise wird exemplarisch ein breites Spektrum an didaktischen Grundsätzen, Methoden und Materialien für die Unterrichtsgestaltung, an Beispielen für die Projektarbeit, aber auch an Herausforderungen für die Konzeption und Durchführung von Unterricht zu ERG und BNE präsentiert. Mittelbar veranschaulichen diverse Beiträge zudem Zugänge für die fachdidaktische Forschungs- und Entwicklungsarbeit, etwa Methoden zur Erhebung von Schüler:innenvorstellungen, die Arbeit mit leitfadengestützten Interviews oder mit Gesprächstranskripten.
Am Ende eines jeden Bandes findet sich eine Beitragsübersicht. In Tabellenform werden hier alle Beiträge aus den vier fachbezogenen Bänden mittels einer Art Steckbrief aufgelistet: Welche Denk-, Arbeits- und Handlungsweisen bzw. fachdidaktischen Zugänge stehen im Zentrum des Beitrags? Welche übergeordneten Handlungsaspekte (aus dem Lehrplan 21) werden adressiert? Welche Inhaltsbezüge oder Lerngegenstände enthält der Beitrag? Auf welche Stufe bezieht sich das Praxisbeispiel, aus welchem Kontext stammt es (Unterrichtserprobung, Forschungsprojekt, …)? Und: In welchem der Bände findet sich der Beitrag? Damit können (angehende) Lehrpersonen und Dozent:innen sich leicht einen Überblick verschaffen, sei es, um Anregungen für ihren eigenen Unterricht zu bestimmten Methoden, Themen oder Kompetenzen zu erhalten, sei es, um ausgewählte Zugangsweisen im Rahmen der Aus- und Weiterbildung zu thematisieren.
Im Übrigen ist die gesamte Publikation äusserst übersichtlich gestaltet und ermöglicht eine leichte Orientierung. Dazu tragen neben der Tabelle und dem strukturgleichen Aufbau der Bände weitere Gestaltungselemente bei: Jeder Beitrag beginnt mit einem «Worum es geht»-Kasten, die Beiträge enthalten zahlreiche Zwischenüberschriften, häufig werden Grafiken, Tabellen, Fotos oder Hervorhebungen von Textelementen eingesetzt. Diese Orientierung bietende Gestaltung geht sogar so weit, dass sich die Farbgebung der Cover der einzelnen Bände in der farblichen Gestaltung der Überschriften des jeweiligen Bandes wiederfindet und die auf den Covern befindlichen Formen in der Übersichtstabelle zu den Bänden abgedruckt sind. Abgesehen davon, dass diese sorgfältige ästhetische Aufmachung zu einer angenehmen Lektüreerfahrung beiträgt, ist sie angesichts der strukturellen Komplexität der Fachbereiche ERG und BNE sowie der notorischen Zeitknappheit von Lehrpersonen und Dozent:innen auch von nicht zu unterschätzendem praktischen Nutzen.
Der von den Herausgeber:innen verfasste Grundlagen-Band bietet ergänzend zu diesem breiten Spektrum an Kurzbeiträgen etwas umfangreichere Ausführungen zum Fachverständnis der einzelnen Bereiche. Im Falle der Bände zu Ethik und Religionen umfassen diese jeweils eine aufschlussreiche fachwissenschaftliche Verortung aus philosophischer respektive religionswissenschaftlicher Perspektive sowie Schlaglichter auf zentrale fachdidaktische Anliegen und Herausforderungen in den jeweiligen Fachbereichen. Entsprechende Anliegen und Herausforderungen werden auch in den Bänden zum Bereich Gemeinschaft und zu BNE vorgestellt. Darin sind darüber hinaus Ausführungen zu den zahlreichen – und damit deutlich diffuseren – disziplinären Bezügen und unterschiedlichen Grundverständnissen der Bereiche zu finden. Obwohl diese vier grundlegenden Beiträge auf knappem Raum bereits fundierte und zugleich gut zugängliche Einblicke in die jeweiligen Fachperspektiven und in einschlägige didaktische Diskussionspunkte bieten, wäre es hilfreich gewesen, hier ergänzend Empfehlungen für die weiterführende Lektüre abzudrucken.
Ein weiterer Beitrag des Grundlagenbandes diskutiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede der vier Bereiche Ethik, Religionen, Gemeinschaft und BNE. Darin formulieren die Autor:innen unter anderem den aufschlussreichen Vorschlag, diesen Vergleich mittels der Rollen «Beobachter:in» und «Akteur:in» durchzuführen, welche die Schüler:innen je nach fachlichem Zugang in unterschiedlicher Weise einnehmen sollten. Diese Unterscheidung kann etwa hilfreich sein, um die primär beobachtende Rolle im Teilbereich Religionen mit der primär handlungsbezogenen Rolle im Bereich Ethik zu kontrastieren, in der die Lernenden im Unterricht jeweils angesprochen werden (dass dieser Kontrast bei näherer Betrachtung relativiert werden muss, sprechen die Autor:innen selbst an, vgl. Band Grundlagen, S. 79f.). Insgesamt fünf weitere Beiträge des Grundlagenteils behandeln grundsätzliche methodische Herangehensweisen an die Konzeption, Ausgestaltung und Erforschung von Unterricht (insbesondere hermeneutische Zugänge und den Lehr- und Forschungsrahmen der Conceptual-Change-Theorie), Ausführungen zu Lernarrangements und Kompetenzorientierung in den Fachbereichen sowie professionstheoretische Überlegungen bezüglich der Anforderungen und Entwicklungsmöglichkeiten von Lehrpersonen für ERG und BNE. Auch dabei werden einschlägige theoretische Grundlagen gut zugänglich, prägnant und fundiert erläutert.
Nicht in allen Beiträgen der vier übrigen Bände gelingt es gleichermassen gut, dem hohen Anspruch zu genügen, auf knappem Raum theoretische Grundlagen und Praxisbeispiele zu verzahnen und damit zugleich eine Grundlage für die fachdidaktische Fallarbeit zu liefern. Bisweilen erscheint der Zusammenhang etwas konstruiert, sind die theoretischen Grundlagen allzu knapp dargelegt oder ist das theoretische Gerüst etwas gross geraten für ein alltagsnahes Unterrichtsbeispiel. Doch zum einen bieten auch diese Beiträge spannende Einblicke in die Praxis oder skizzieren theoretische Grundlagen, die neugierig machen auf mehr. Zum anderen gelingt die angestrebte Verzahnung in einem Grossteil der Beiträge ausserordentlich gut: seien es Grundlagen zur Entwicklung philosophischer Fragen in Verbindung mit einem Praxisbeispiel, in dem 5.-Klässler:innen anhand einer Geschichte Fragen zur Bedeutung des wahrheitsgemässen Sprechens entwickeln und reflektieren (Band Ethik, S. 27ff.), seien es sozialwissenschaftliche Ausführungen zur Arbeit mit Leitfadeninterviews in Verbindung mit der Vorstellung eines Projekts, in dessen Rahmen die Lernenden Interviews zum Thema Glücksvorstellungen gestalten, durchführen und reflektieren (Band Gemeinschaft, S. 13), oder seien es fachdidaktische Ausführungen zur Erhebung von Vorstellungen mittels reflexiver Fotografie in Verbindung mit der Darstellung und Diskussion von Schüler:innenprodukten zu deren Konzepten von Nachhaltiger Entwicklung (Band BNE, S. 29ff.).
Zweifellos wird dieses interdisziplinäre, institutionenübergreifende Gemeinschaftswerk an vielen Stellen der Aus- und Weiterbildung, der informellen und systematischen Unterrichtsentwicklung sowie in der Praxis an Schulen und Hochschulen äusserst fruchtbare Impulse setzen. Es ist zu hoffen, dass es zudem weitere fachdidaktische Forschungs- und Entwicklungsprojekte inspiriert, ob bezogen auf ERG und BNE in der Deutschschweiz oder in Bezug auf Ethikfächer in anderen deutschsprachigen Ländern.