36 Beiträge zur Genderkompetenz


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36 Beiträge zur Genderkompetenz

Ein Kartenset bietet Unterrichtsvorschläge zur Auseinandersetzung mit Geschlechtsidentität

Werthmüller, Heinrich (Hrsg.) (2006–2007): ICH, DU, WIR: Gender. 36 Unterrichtseinheiten zur Entwicklung einer Geschlechtsidentität, Meilen/Bern.
Von Sarah Gfeller

Geschlecht und Rollen im Karten-Format und nach erprobter Methode

Das bekannte und auch für weitere Kompetenzbereiche erhältliche Format «ICH, DU, WIR» hält 36 Unterrichtseinheiten zum Thema «Gender» bereit. Jeder Unterrichtsvorschlag ist auf einer Karte im handlichen A6-Format beschrieben. Inhaltlich stehen dabei die Entwicklung einer Geschlechtsidentität und die Wahrnehmung, Reflexion und Erweiterung von Rollenmustern im Fokus. Didaktisch sind die Unterrichtsideen nach der Methode des Themenzentrierten Theaters (TZT)® konzipiert. Dabei wird davon ausgegangen, dass bei der Ausbildung von Sachkompetenz gleichzeitig auch die Selbst- und Sozialkompetenz geschult und erweitert werden. Sach- und Ich- bzw. Sozialkompetenz werden nicht als Gegensätze betrachtet, sondern als untrennbare Komplementär-Phänomene. Die Methode integriert im Lernstoff demnach kognitive, emotionale und soziale Aspekte und versteht Lernprozesse immer auch als Gruppenprozesse.

Szenisches Spiel als Ausgangspunkt für die vertiefte Bearbeitung

Jede Unterrichtseinheit folgt stets derselben Struktur. Nach einer Einstiegs- und Gruppenbildungsphase erhalten die Schülerinnen und Schüler eine 10- bis 15-minütige Vorbereitungszeit, um eine vorgegebene Szene einzuüben. Die Spielzeit pro Gruppe soll dabei maximal 3 Minuten betragen. In den nachfolgenden Realisationen wird in einem ersten Schritt der Transfer zum Alltagsverhalten hergestellt. Schülerinnen und Schüler sollen über die gespielte Szene sprechen und Fragen stellen. In einem zweiten Schritt vertiefen die Lernenden den Alltagstransfer. Verhalten, Einstellungen, Erwartungen, Wünsche etc. in der eigenen Lebenswelt sollen analysiert und reflektiert werden. In der Ausstiegssequenz geht es darum, das Gespielte und Erlebte aus- und weiterklingen zu lassen.

Sensibilisierung – Auseinandersetzung – Entwicklung

Es gibt jeweils Karten zu den drei Dimensionen ICH (Sensibilisierung für die Geschlechtsidentität), DU (Auseinandersetzung mit Geschlechterrollen) und WIR (Entwicklung der Genderkompetenz). Die drei Dimensionen ICH, DU und WIR sind dann nochmals in die sechs Kategorien Körper, Gefühle, Rollenverhalten, Rollenerwartungen, Identität und Wünsche unterteilt.

Unter dem Aspekt Körper geht es beispielsweise darum, den eigenen Körper wahrzunehmen, sich mit ihm auseinanderzusetzen und einen respektvollen Umgang mit ihm zu finden. So sollen sich etwa kleinere Kinder im Raum wie Tiere bewegen. Danach spielen sie in Gruppen einen Tier-Schönheitswettbewerb: Gabi Gazelle und Pablo Pfau machen sich in der Garderobe bereit, als Nuria Nilpferd hineinkommt. Was denken die Schülerinnen und Schüler über die Szene und wie wird sie wohl enden? Für den Alltagstransfer sollen die Kinder anschliessend eigene Körperteile markieren, die ihnen an sich selbst gefallen. Die Klassenkameradinnen und -kameraden machen dazu Komplimente.

Die Kategorie Gefühle strebt die Wahrnehmung eigener Gefühle und derjenigen des Gegenübers an. Zudem soll das Mass an Mitteilung über Gefühle reflektiert werden.

Beim Rollenverhalten geht es um die Auseinandersetzung mit eigenen Geschlechtsrollen und die gemeinsame Entwicklung eines erweiterten Rollenverhaltens. Zum Beispiel sollen die Kinder eine Szene spielen, in der eine Königin, ein Kutscher und eine Dienerin mit einer Kutsche unterwegs sind. Beim Eindunkeln bricht ein Rad der Kutsche und der Kutscher verstaucht beide Hände. Wer übernimmt welche Aufgabe und wie kommen die Drei weiter? Die Mädchen und Jungen sollen über Tätigkeiten nachdenken, die sonst meistens das andere Geschlecht übernimmt. Aufgaben, die man gerne einmal ausprobieren würde, werden danach als Statuen geformt.

In der Kategorie Rollenerwartungen geht es um eine kritische Auseinandersetzung mit gendergeprägten Erwartungshaltungen und einen selbstbewussten Umgang damit.

Beim Aspekt Identität stehen die Wahrnehmung von Stärken, genderspezifische Zuschreibungen und die Erweiterung des eigenen Rollenverhaltens im Zentrum.

Bei Wünschen soll eine zukunftsorientierte Auseinandersetzung mit Rollenbildern, eigenen Vorlieben und Fähigkeiten stattfinden. So geht es beispielsweise für ältere Schülerinnen und Schüler darum, über Vorurteile gegenüber (noch) ungewohnten Berufsausübungen von Mann und Frau nachzudenken.

Kompakte Einheiten für einen vielseitigen Einsatz

Obwohl die Ersterscheinung des Kartensets bald zwölf Jahre zurückliegt, haben weder die Thematik noch die Unterrichtsvorschläge an Aktualität eingebüsst. Die 36 Karten bieten Unterrichtseinheiten für alle drei Zyklen. Individuelle Anpassungen an jeweils tiefere oder höhere Schulstufen sind oft gut möglich. Die Unterrichtsideen sind je nach Gruppengrösse und Arbeitstempo für die Dauer von 45 bis 90 Minuten konzipiert. Die Karten lassen sich in verschiedenen Phasen des Unterrichts zum Kompetenzbereich NMG 1.6 bzw. ERG 5.2 einsetzen, sei dies als Teil einer längeren Unterrichtseinheit oder als wiederkehrende kompakte Elemente während des Schuljahres.

Artikelnachweis
Gfeller, Sarah (2018): 36 Beiträge zur Genderkompetenz. Ein Kartenset bietet Unterrichtsvorschläge zur Auseinandersetzung mit Geschlechtsidentität, in: erg.ch – Materialien zum Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (Online-Publikation), www.ethik-religionen-gemeinschaft.ch/gfeller-36-beitraege-zur-genderkompetenz/

Über Sarah Gfeller

Sarah Gfeller, Primarlehrerin und Psychologin, ist Co-Leiterin des Fachbereichs Medien und Beratung Religion, Ethik, Lebenskunde (MBR) am Institut für Weiterbildung und Medienbildung der PHBern.