Aufklärung für Primarschulkinder und alle anderen


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Aufklärung für Primarschulkinder und alle anderen

Zwei Bücher voller interessanter Fragen und Antworten zu Pubertät, Körper, Sexualität und Liebe

Van der Gathen, Katharina / Kuhl, Anke (2014–2017): Klär mich auf. 101 Kinderfragen rund um ein aufregendes Thema, 2. veränderte Auflage, Leipzig.
Van der Gathen, Katharina / Kuhl, Anke (2018): Klär mich weiter auf. Noch mehr echte Kinderfragen zu einem aufregenden Thema, 1. Auflage, Leipzig.
Von Sarah Gfeller

Was Kinder fragen

Nach «Klär mich auf!» ist mit «Klär mich weiter auf» der zweite Band zu einem der wohl spannendsten Themen der Kinder- und Jugendjahre erschienen. Grund genug, die beiden Bücher genauer unter die Lupe zu nehmen:

Wie Kinder aufklären? Die Bücher gehen dazu von Fragen aus, die Primarschulkinder beschäftigen. Sie vereinen einen bunten Strauss unsortierter Fragen zu Körper, Pubertät, Liebe und Sexualität, gesammelt in einem anonymen Briefkasten. Dieser wurde im Rahmen von Aufklärungs-Workshops aufgestellt, welche die Autorin Gertrud van der Gathen, selbst Sonder- und Sexualpädagogin, mit zahlreichen Kindern durchgeführt hat. Die Fragen samt Antworten stellt sie in diesen Büchern vor. Allein die Anzahl – je 101 Fragen – zeugt davon, wie brennend sich Kinder für die Pubertät und allem, was dazugehört, interessieren.

Die Bücher sind ähnlich wie ein Tischkalender konzipiert, jede Seite kann hochformatig umgeblättert werden. Aufgebaut sind die Seiten stets gleich. Auf der Vorderseite findet sich unterhalb einer Illustration jeweils die Abbildung eines Zettels aus dem Briefkasten. Die darauf formulierten Fragen kommen uns in Schul- oder Steinschrift, mit dem altersentsprechenden Stand der Rechtschreibung, mancherorts mit vergessenen Fragzeichen oder durchgestrichenen Wörtern entgegen. Die Rückseite hält jeweils eine passende Antwort bereit.

Einfaches, Komplexes, Lustiges und vermeintlich Peinliches

Einerseits widmen sich die Fragen zu pubertären Entwicklungen inhaltlich eher biologischen Erscheinungen, wie folgende Beispiele zeigen:

  • «Wieso haben Mädchen eine Scheide?»
  • «Wie lang wird ein Penis?»
  • «Wie viele Samen produziert der Mann?»
  • «Wie gross ist ein Samen?»
  • «Kann man in der Pubertät einen Vollbart haben?»

Andererseits interessieren Fragen, deren Beantwortung nicht mehr ganz so einfach ist:

  • «Wozu hat man das Lustgefühl?»
  • «Sind Kinder nach der Geburt schlau?»
  • «Können Kinder schwul sein?»
  • «Wenn man schwanger ist und kein Baby will – was passiert?»
  • «Wie kann man merken, dass man erwachsen ist?»
  • «Was ist am besten bei Liebeskummer?»

Daneben werden auch lustige Fragen gestellt:

  • «Wer war der erste Mensch, der Sex gemacht hat?»
  • «Wie viele Menschen haben schon Sex gemacht?»
  • «Muss man nackt ficken?»
  • «Kann ein Kind im Bauch furzen?»
  • «Warum haben Jungs auch Eier?»
  • «Wenn ein Mädchen ihre Tage hat, muss man dann sofort Sex machen?»

Hinzu kommen Fragen, die Erwachsenen durchaus einmal unangenehm sein können oder über die sie (zumindest im öffentlichen Kontext) möglicherweise selbst nicht so genau Auskunft geben:

  • «Warum geben die Menschen nicht zu, dass sie Sex gemacht haben?»
  • «Ist es peinlich, Sex zu haben?»
  • «Warum reden Eltern mit den Kindern nicht über ihre Entstehung?»
  • «Ist Sex wie Porno?»
  • «Wieso kann man sich nicht vorstellen, dass die Eltern Sex haben?»

Vertrauen durch Wort, Bild und Form

«Klär mich auf» und «Klär mich weiter auf» sind Aufklärungsbücher unkonventioneller Art, weil sie direkt und konsequent von unverblümten Kinderfragen ausgehen. Kinder und Jugendliche werden den unverkrampften Zugang mögen, mit denen die Bücher sich den Themen des Erwachsenwerdens und der Pubertät widmen. Erwachsene können in die Fragenwelt der Kinder eintauchen, interessante Details erfahren und über die vielschichtigen kindlichen Gedankengänge staunen: So erfährt man bei der Lektüre, warum feine Damen im Mittelalter den Vogelkäfig vor das Fenster hängten, wenn der Ehemann nicht zu Hause war («Warum heisst es vögeln?»). Oder man liest über eine Methode der Stimmbruchunterdrückung, die vor ein paar hundert Jahren eingesetzt wurde, um Männer als Sänger auszubilden («Kann man den Stimmbruch vermeiden?»).

Die Antworten sind zwanglos und aufrichtig und zeichnen sich durch eine verständliche Sprache, Einfühlsamkeit und ein Mass an Differenziertheit aus, die Kinder im Primarschulalter verstehen. Es ist gerade diese unaufdringliche Weise, durch welche die Autorineinen vertrauensvollen Zugang zur Aufklärung in allen ihren Facetten ermöglicht. Auch die konsequent gleich gestalteten Seiten leisten dazu ihren Beitrag, denn sie haben Wiedererkennungswert und laden ein zum unsystematischen, unverfänglichen und selbstbestimmten Stöbern: Entweder erweckt eine Seite Neugier oder man blättert weiter.

Zu den Fragen und Antworten treten zusätzlich die Illustrationen von Anke Kuhl, die eine wahre Bereicherung darstellen. Die bekannte Illustratorin schafft es, die Fragen mit Witz, Scharfsinn und Überspitzung zu illustrieren. Etwa, wenn die männliche Karikatur auf die Frage nach der Häufigkeit von Sex antwortet, dass er später als Professor sowieso keine Zeit für Sex habe. Oder wenn die Mutter durch einen Strohhalm Milch trinkt und dabei ihr Kind stillt: «Wie kommt die Milch in die Busen?» Oder wenn der Junge in seinem Bett neugierig nach Kekskrümeln sucht: «Liegen dann Samen im Bett?» Oder wenn eine Frau sich genüsslich ihre bodenlangen Achselhaare kämmt: «Wie lange können Achselhaare werden?»

Zielpublikum der beiden Bücher sind Kinder ab 8 Jahren und Jugendliche. Für Erwachsene sind die Werke eine erfrischende und durchaus lehrreiche wie unterhaltsame Bereicherung. Denn bei manch‘ einer Frage kann man sich selbst befragen, welche Antwort man geben würde.

Artikelnachweis
Gfeller, Sarah (2018): Aufklärung für Primarschulkinder und alle anderen. Zwei Bücher voller interessanter Fragen und Antworten zu Pubertät, Körper, Sexualität und Liebe, in: erg.ch – Materialien zum Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (Online-Publikation), www.ethik-religionen-gemeinschaft.ch/gfeller-aufklaerung/

Über Sarah Gfeller

Sarah Gfeller, Primarlehrerin und Psychologin, ist Co-Leiterin des Fachbereichs Medien und Beratung Religion, Ethik, Lebenskunde (MBR) am Institut für Weiterbildung und Medienbildung der PHBern.