Ethik im Judentum


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Ethik im Judentum

Zugänge jüdischer Ethik zu gesamtgesellschaftlichen Fragen

Zentralrat der Juden in Deutschland / Schweizerischer Israelitischer Gemeindebund (Hrsg.) (2015): Ethik im Judentum: «Lehre mich, Ewiger, Deinen Weg». Ps 86:11, Berlin.
Von Sarah Gfeller

Das Lehrbuch richtet sich laut den Herausgeberinnen und Herausgebern sowohl an jüdische als auch interessierte nicht-jüdische Leserinnen und Leser und soll dem Unterricht und dem Selbststudium dienen. Es ist das erste deutschsprachige Standardwerk jüdischer Ethik, nicht zuletzt weil explizit Ansichten der verschiedenen Strömungen des Judentums berücksichtigt werden. Das Werk bietet einen Überblick zu ethischen Fragestellungen aus jüdischer Sicht; die aufgeworfenen Fragen betreffen jedoch die Allgemeinheit und sind politisch wie gesellschaftlich hochaktuell.

Perspektiven zur Gentechnik, Sterbehilfe, Präimplantationsdiagnostik, Homosexualität und vielem mehr

Zu Beginn des Buches steht eine kurze und kompakte Einleitung, die sich der Ethik im Allgemeinen widmet. Darin wird auf die Unterscheidung zwischen Moral und Ethik eingegangen und thematisiert, vor welchen Herausforderungen jüdische Ethik in der heutigen Zeit steht. Das Kernstück des Werkes gliedert sich in die vier Kapitel «Umweltethik», «Medizinethik», «Sozialethik» und «Ethik in persönlichen Beziehungen».

Im Kapitel «Umweltethik» wird auf den Umgang mit Tieren und der Natur eingegangen. Dabei werden Fragen zur Tierhaltung und zu Tierversuchen, zum Fleischverzehr wie zum Schächten aufgegriffen. Nachhaltigkeit und Gentechnik sind weitere zentrale Elemente.

Im Kapitel «Medizinethik» werden Sterbehilfe, Abtreibung, Genetic Engineering und Organspende besprochen. Beispielsweise werden Standpunkte zur Reproduktionsmedizin, zur Präimplantationsdiagnostik, zur Stammzellenforschung und zur Leihmutterschaft dargelegt. Betreffend Organspende werden die Positionen zu einzelnen Organen und zur Xenotransplantation erläutert.

Das Kapitel «Sozialethik» ist das umfangreichste und beschäftigt sich mit zwischenmenschlichen Beziehungen, der Stellung der Frau, dem Verhältnis zu Nichtjuden, mit Wirtschaftsethik, politischer Theologie im Judentum, Kriegsethik und der Todesstrafe. Im Abschnitt Zwischenmenschliche Beziehungen stehen u. a. die Beziehung zu den Eltern, Mobbing oder Whistleblowing im Zentrum. Die Stellung der Frau wird aus zwei Sichtweisen betrachtet – der des Reformjudentums und des orthodoxen Judentums.

Der Teil «Ethik in persönlichen Beziehungen» widmet sich den Themen Sexualität und Homosexualität sowie der Einstellung zum Körper und der Frage, wem der Körper gehört. Es kommen verschiedene Haltungen zum Rauchen und zu Alkohol, Essstörungen, Schönheitsoperationen und Tätowierungen zur Sprache, sexuelle Beziehungen vor der Ehe, Selbstbefriedigung und die gleichgeschlechtliche Ehe werden beleuchtet.

Thematischer Artikel, Diskussion und weiterführende Quellen mittels QR-Code

Die einzelnen Unterkapitel sind verfasst von jüdischen Fachpersonen und beginnen jeweils mit dem thematischen Artikel, in welchem die ethischen Problemstellungen und die entsprechenden Sichtweisen des Judentums aufgerollt werden. Teilweise werden Positionen aus anderen Religionen mit einbezogen. Zum Beispiel wird die Frage des Schwangerschaftsabbruchs aus katholischer, protestantischer und islamischer Sicht betrachtet. Daneben werden bekannte und die Thematik prägende jüdische Vertreterinnen oder Vertreter porträtiert. Fachbegriffe werden in eigens gekennzeichneten Kästchen erläutert und mit entsprechenden Gesetzesgrundlagen aus Deutschland und der Schweiz untermauert. Relevante Datenerhebungen und Statistiken vermitteln zudem ein Bild von der Sachlage. So wird beispielsweise angegeben, wie viele Patientinnen und Patienten auf eine Organspende warten, wie lange die Wartezeit durchschnittlich dauert und wie hoch die Überlebenschancen nach einer Transplantation sind. Die Artikel werden stets mit einer Zusammenfassung der relevanten jüdischen Werte und Prinzipien abgeschlossen. Jedem Artikel ist ein Diskussions-Teil angehängt, der anhand von Fragen eine thematische Vertiefung ermöglicht. Dabei handelt es sich neben reinen Wissensfragen um Aufgaben, die zum Vergleichen, Bewerten und Überprüfen anregen. Zahlreiche Textstellen sind mit QR-Codes versehen, die auf Gesetzestexte, Quellenmaterial oder weiterführende Literaturangaben und Filmhinweise verlinken, einige davon in englischer Sprache.

Im Anhang des Buches werden die verschiedenen Strömungen im Judentum kurz und verständlich umrissen. Weitere Bestandteile des Anhangs sind die Darstellung von Ordnungen und Traktaten, ein Begriffsglossar sowie ein Personenregister.

Vielfältiger Unterrichtseinsatz

Das Buch ist im Unterricht für die Sekundarstufe II einsetzbar, gegebenenfalls auch bereits in der 9. Klasse der Sekundarstufe I. Die Aufgaben in den Diskussionsteilen eignen sich direkt als Grundlage für die unterrichtliche Bearbeitung. Aufgrund der zahlreich erläuterten Fachbegriffe taugt das Buch zudem als Nachschlagewerk grundlegender ethischer und jüdischer Definitionen. Die rechtlichen Ausführungen und die Statistiken sind oftmals datiert (das Buch stammt aus dem Jahre 2015), so dass Ermittlungen über aktualisierte Daten oder über allfällige politische Entscheide möglich sind. Ein weiterer hervorzuhebender Pluspunkt sind die QR-Codes, die für den Unterrichtseinsatz ein zeitgemässes didaktisches Mittel darstellen. Auf diese Weise lässt sich das Lehrbuch im Unterricht auf vielfältige Weise einsetzen, sowohl zur Vermittlung von Grundlagen als auch zur ethischen Reflexion und Diskussion.

Artikelnachweis
Gfeller, Sarah (2017): Ethik im Judentum. Zugänge jüdischer Ethik zu gesamtgesellschaftlichen Fragen, in: erg.ch – Materialien zum Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (Online-Publikation), www.ethik-religionen-gemeinschaft.ch/gfeller-ethik-im-judentum/

Über Sarah Gfeller

Sarah Gfeller, Primarlehrerin und Psychologin, ist Co-Leiterin des Fachbereichs Medien und Beratung Religion, Ethik, Lebenskunde (MBR) am Institut für Weiterbildung und Medienbildung der PHBern.