Mitfühlende Anteilnahme


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Mitfühlende Anteilnahme

Zur Bedeutung von Geschichten für die ethische Bildung und Erziehung

Von Matthias Pfeiffer

Hinführung

Peter Härtling (1933–2017), Autor wunderbarer Geschichten für Kinder und Jugendliche, verfasste 1977 einen Text «Über die Schwierigkeiten und das Vergnügen beim Schreiben für Kinder». Darin finden sich bemerkenswerte Überlegungen zur Frage, was nach seiner Auffassung gute Kinderliteratur auszeichnet.

«Kindliche Leser sollen sich engagieren […] sie sollen Recht und Unrecht erkennen, sie sollen beim Lesen lachen und weinen, zornig sein und sanft, dafür reden und dagegen. Das geschieht am ehesten, wenn sie ihre Gefühle einer oder einigen Figuren anvertrauen, wenn sie sich identifizieren. Auf der Fährte solcher anziehenden Gestalten und mit einer Sprache, die das Schwierige nicht vereinfacht, können sie auch an die Ränder unserer Wirklichkeit geführt werden, in die Verlassenheit, die Armut, die wortlose Verzweiflung.» (Härtling 1990a, S. 14)

«Die Bücher, die ich meine, sollen nicht beschwichtigen, sie sollen beunruhigen und wecken. Neugierig sollen sie machen auf Menschen und Dinge, auf das Unbekannte im Bekannten, sogar auf das Unmögliche. Bücher können zu neuen Gedanken herausfordern. Denk weiter, rede weiter, erzähl weiter. Trau deiner Phantasie, aber lasse sie die Wirklichkeit nicht vergessen: das sind Leitlinien, auf denen Sätze für Kinder geschrieben werden können. Und dies alles nicht ohne Witz, Vergnügen, Liebe, Anschauung und Erfahrung, Genauigkeit, Leidenschaft, Vernunft. Und das in einer Sprache, die Empfindungen nicht verkleinert.» (ebd. S. 15)

Und in einem weiteren Text gibt er Autorinnen und Autoren von Kinderliteratur folgenden Rat mit auf den Weg:

«Beschreibe Wirklichkeiten – aber so, dass sie die Phantasie nicht lähmen, den Traum nicht ausschliessen. Hilf den Kindern nicht, mit der Literatur aus der Wirklichkeit zu fliehen. Hilf ihnen, ihre Welt zu verstehen, zu durchschauen, zu bezweifeln, zu befragen und, wenn es nötig ist, anzugreifen. Hilf ihnen in ihrer Liebe, in ihrem Zorn, beim Lachen und beim Weinen. Wer seine Gefühle aussprechen kann, ist schon weiter.» (Härtling 1990b, Anm. 1, S. 24).

Wenn Kinder in die Welt einer Geschichte eintauchen, sich darin auftretenden Personen – es können auch Tiere sein – so anvertrauen, dass sie lernen, die Welt mit ihren Augen zu sehen, ihre Gefühle und Sichtweisen, ihre Überzeugungen und Haltungen, ihre Handlungsmotive verstehen; wenn sie mit diesen Personen ins Gespräch über die Beweggründe ihres Denkens und Handelns kommen, dann lernen sie, die Welt, andere und sich selbst besser zu verstehen.

Dabei handelt es sich aber nicht um distanziertes, kühl abwägendes Verstehen, das die Kinder unberührt lässt. Die Kinder werden emotional in die Geschichte hereingezogen, wenn sie sich den Figuren in der Geschichte anvertrauen: Sie lachen und weinen mit ihnen, empören sich über widerfahrenes Unrecht, werden zornig und sind sanftmütig, empfinden Mitleid mit anderen, verzweifeln mit ihnen in aussichtslosen Situationen, engagieren sich für Gerechtigkeit und hoffen mit Phantasie und Imaginationskraft über die Wirklichkeit hinaus.

Zusammenfassend: Gute Geschichten unterstützen die Kinder, sich in der Welt, in ihrem Leben zu orientieren.

Das Erzählen von und die Auseinandersetzung mit guten Geschichten unterstützt die Kinder im Aufbau und der Kultivierung eines moralischen Wahrnehmungsvermögens.1 Dieses Wahrnehmungsvermögen bildet die Grundlage jeder ethischen Bildung und Erziehung. Denn nur wenn wir in der jeweiligen Situation überhaupt sehen und verstehen, was ethisch auf dem Spiel steht, können wir uns moralisch in unserer Lebenswelt orientieren und sind in der Lage, rational nachvollziehbare ethische Urteile zu bilden. Der erste und entscheidende Schritt in der ethischen Reflexion und Urteilsbildung ist deshalb das Wahrnehmen.2

Die moralische Wahrnehmung unterscheidet sich vom (natur- )wissenschaftlich distanzierten Blick auf die Welt:

  • Die moralische Wahrnehmung ist emotional bestimmt. Emotionen sind nicht einfach gefühlsmässige Reaktionen auf die wahrgenommene Situation, sondern sie sind «Seismographen der Bedeutung»3 – d. h. sie erschliessen uns die Bedeutung einer Situation. Das Mitleid lässt uns zum Beispiel notleidende Flüchtlinge als Menschen sehen, die auf Hilfe angewiesen sind.4
  • Die moralische Wahrnehmung beruht auf einer engagierten Einstellung zu Welt. Eine engagierte Einstellung verbindet uns unmittelbar mit anderen Menschen und der Welt und lässt uns erkennen, mit welchen moralischen Ansprüchen uns eine Situation konfrontiert. Die Bilder von Flüchtlingen, die nach einer langen Odyssee ohne Hab und Gut erschöpft auf dem Bahnhof ankommen, lassen uns nicht unberührt. Wir sind persönlich, als fühlende, denkende und handelnde Menschen, unausweichlich betroffen und herausgefordert. Wir erkennen, dass diese Menschen elementar auf unsere Hilfe, d. h. auf Nahrung, Schutz und ein Dach über dem Kopf angewiesen sind.

Das moralische Wahrnehmungsvermögen – Philosophen wie David Hume sprechen von einem «moral sense» – erlaubt uns, in der jeweiligen Situation zu erkennen, worauf es ankommt (inwiefern zum Beispiel Gerechtigkeit oder die Würde eines Menschen auf dem Spiel steht), mit welchen ethischen Forderungen uns eine Situation konfrontiert und welches Handeln in diesem Augenblick gefordert ist.

Es zeichnet sich aus durch Aufmerksamkeit, Einfühlungsvermögen und Imaginationskraft und setzt offensichtlich ein moralisches Wissen voraus, das mehr und anderes ist als theoretisches Wissen oder technisches Wissen: ein Wissen, was in einer Situation gerecht und ungerecht ist, was gut und böse, was richtig und falsch ist, vergleichbar dem Geschmackssinn eines Weinliebhabers, der eine Vorstellung davon entwickelt, was einen guten Wein charakterisiert.

Die Philosophin Martha Nussbaum (*1947) hat dieses Wissen so beschrieben:

«Moral knowledge is not simply intellectual grasp of propositions: it is not even simply intellectual grasp of particular facts; it is perception. It is seeing a complex concrete reality in a highly lucid and richly responsive way; it is taking in what is there, with imagination and feeling.» (Nussbaum 1985, S. 521, zit. nach Hauskeller 2001, S. 210)

Kinder lernen dieses Wissen im alltäglichen Leben. Die kulturelle Herkunft und gesellschaftliche Wertvorstellungen, das Zusammenleben in der Familie, die Erziehung durch die Eltern, die Schule, Freunde und Kolleginnen, aber auch Kunst und Kultur, Filme und Literatur usw. prägen unsere Lebenseinstellungen und Überzeugungen von frühester Kindheit an und spielen im Aufbau dieses Wissens eine wichtige Rolle.

In der Schule haben wir die Möglichkeit, mit Hilfe guter Geschichten die Kinder und Jugendlichen für die moralischen Fragen, die sich darin stellen, zu sensibilisieren und dieses Wahrnehmungsvermögen, den «moral sense» zu kultivieren.

Ein Beispiel aus der Praxis: Pierre Bellemare, Der Sohn

Wie die Kultivierung des moralischen Wahrnehmungsvermögens konkret geschehen könnte, zeige ich im Folgenden am Beispiel der Kurzgeschichte «Der Sohn» von Pierre Bellemare (1929-2018).5 Die Unterrichtseinheit wurde von Pascal Stadler, Lehrer Sekundarstufe I in Schaffhausen, und mir gemeinsam entworfen und in seiner Klasse durchgeführt.

Zusammenfassung der Geschichte

Die Geschichte handelt von einem alten Mann, der 1962 in Marseille auf der Strasse zusammenbricht. Im Spital zeigt sich, dass sein Tod nach dem schweren Herzinfarkt eine Frage von Stunden ist. Aufgrund eines in seiner Manteltasche gefundenen Briefes wird sein Sohn ausfindig gemacht: Jacques Valin, ein 22-jähriger französischer Soldat, ist in Deutschland stationiert.

Die Vorgesetzten reagieren rasch. Jacques Valin erhält Urlaub, und am gleichen Abend landet er mit dem letzten Flug in Marseille. Er wird ins Spital zu seinem Vater gebracht und bleibt bei ihm an seinem Bett, bis dieser frühmorgens stirbt.

Jacques Valin bittet nach dem Tod des alten Mannes die Krankenschwester, dessen Angehörige zu verständigen. Er sei nicht der Sohn dieses Mannes, es habe sich wohl um ein Missverständnis gehandelt. Offenbar waren in der Hektik der Suche Namen und Kontaktnummer, die auf dem Brief standen, nicht korrekt übermittelt worden.

«Sieh hin, und du weisst.» Überlegungen aus ethischer Perspektive

Die Krankenschwester reagiert auf das überraschende Eingeständnis des jungen Soldaten, er sei nicht der Sohn des alten Mannes, fassungslos: «Ja aber … warum haben Sie es um Himmelswillen nicht gleich gesagt?»

Auch die Leserinnen und Leser werden durch dieses Eingeständnis überrascht. Nichts hatte in der Geschichte darauf hingedeutet, dass Jacques Valin nicht der Sohn des alten Mannes ist – oder doch? Es gibt ein sprachliches Indiz: Als der Pfleger ihm die Hand drückt und das Zimmer verlässt, heisst es: «Der Sohn zögert einen Augenblick – aber dann kommt er näher ans Bett.»

Im Augenblick des Zögerns widerspiegelt sich die Erkenntnis des jungen Soldaten: «Hier liegt ja gar nicht mein Vater, sondern ein unbekannter alter Mann im Sterben.» Das Zögern dauert aber nur einen kurzen Augenblick, dann geht er näher ans Bett, setzt sich hin, ergreift die Hand des sterbenden Mannes und hält sie fest, bis der alte Mann nicht mehr atmet.

Ersichtlich fällt Jacques Valin den Entscheid, beim sterbenden alten Mann zu bleiben, nicht nach rationaler ethischer Reflexion.6

Die Möglichkeit und die Zeit, sich von der dringlichen Situation des im Sterben liegenden Mannes zu distanzieren und sorgfältig abzuwägen, welches Handeln ethisch richtig ist, hat er in diesem Augenblick nicht. Der junge Soldat entscheidet sich spontan und intuitiv, beim alten Mann zu bleiben, in gewisser Weise ohne nachzudenken. Wenn man ihn fragen würde, warum er beim alten Mann geblieben ist, obwohl dieser nicht sein Vater war, hätte er wohl rückblickend geantwortet: «Ich brachte es nicht übers Herz, den sterbenden Mann allein zu lassen. Er brauchte jemanden, nein: er brauchte seinen Sohn zum Sterben.»

Er sieht den hilflosen alten Mann, der im Spitalzimmer im Bett liegt, die Augen geschlossen, schwach, mit Infusionen versorgt, ein Bildschirm, der den Herzschlag und Blutdruck überwacht – und er weiss unmittelbar, welche Entscheidung in diesem Augenblick die ethisch richtige ist: Er wird beim alten Mann bleiben, damit dieser in Frieden sterben kann.

Der Philosoph Hans Jonas (1903-1993) hat seinem Buch «Prinzip Verantwortung»7 eindrücklich den Anspruch beschrieben, den ein neugeborenes Kind an seine Eltern stellt; ein Säugling, «dessen blosses Atmen unwidersprechlich ein Soll an die Umwelt richtet, nämlich sich seiner anzunehmen» (235). Die Eltern nehmen diesen Anspruch wahr, und es ist für sie selbstverständlich, dass sie für ihr Kind sorgen, oft auch über die eigenen Kräfte hinaus. Dieser Anspruch ist nach Jonas von «unmittelbarer Evidenz» (236) und verlangt nach keiner Begründung. Gefordert ist nur der «Gebrauch des Sehvermögens» (ebd.) Es handelt sich um eine unmittelbare präreflexive Erkenntnis. «Sieh hin, und du weisst» (ebd.).

Der Anspruch, mit dem sich Jacques Valin im Spital in Marseille konfrontiert sieht, ist damit durchaus vergleichbar. Keine distanzierte rationale ethische Reflexion führt ihn zu seiner Einsicht, sondern die konkrete Situation selbst – der sterbende alte Mann in diesem Spitalbett – stellt an ihn «unwidersprechlich» die ethische Forderung, sich jetzt um diesen Mann zu kümmern. Er kann sich dieser Forderung nicht entziehen. Die Einsamkeit und die Hilflosigkeit des alten Mannes berühren ihn, und die Erkenntnis, die er in dem Augenblick gewinnt, ist kognitiv und affektiv zugleich. Das heisst: Emotionen erschliessen ihm die Situation in ihrer ethischen Bedeutung: Das Mitleid mit dem hilflosen und einsamen Mann lässt ihn sehen, dass dieser auf seine Hilfe, und das heisst: auf seine Anwesenheit angewiesen ist. Das Mitleid bewegt ihn zu dem Handeln, das der Situation gerecht wird: Er bleibt beim sterbenden alten Mann und hält seine Hand.

Seine Entscheidung, beim alten Mann zu bleiben, scheint uns selbstverständlich zu sein. Wir hätten uns wohl zu Recht gewundert und an der Menschlichkeit und am Urteilsvermögen des jungen Soldaten gezweifelt, wenn er im Augenblick, da er ins Zimmer trat und den fremden Mann sah, mit der Krankenschwester darüber diskutiert hätte, ob es seine moralische Pflicht sei, bei einem unbekannten alten sterbenden Mann zu bleiben.

Wahrnehmen, worauf es in einer bestimmten Situation wie in diesem Spitalzimmer in Marseille ankommt; sehen, mit welcher ethischen Forderung mich die Situation konfrontiert und welches Handeln von mir in diesem Augenblick gefordert ist – das ist der erste und wohl wichtigste Schritt ethischen Lernens.

Aristoteles hat in diesem Zusammenhang von der Tugend der Klugheit (phronesis) gesprochen. Die Klugheit ist die praktische Urteilskraft, die wir uns mit zunehmender Lebenserfahrung aneignen und mit deren Hilfe es uns gelingt, in einer konkreten Situation zu erkennen, was ethisch von uns gefordert ist, und die richtige Handlungsentscheidung zu treffen.8 In diesem Sinn hat Jacques Valin klug gehandelt.

Die Haltung mitfühlender Anteilnahme, wie sie im Verhalten von Jacques Valin sichtbar wird, entsteht aus engagierter Wahrnehmung und ist die Grundlage ethisch verantwortlichen Handelns.

Didaktische Hinweise

Wenn wir von der Einsicht ausgehen, dass a) unsere moralische Wahrnehmung wesentlich durch Emotionen bestimmt ist, die uns die Bedeutung einer Situation erschliessen und sehen lassen, was ethisch auf dem Spiel steht, und b) verantwortliches und vernünftig begründetes ethisches Denken und Handeln nur auf dem Boden dieser subjektiv engagierten Wahrnehmung gedeihen kann, heisst das, dass wir mit den Schülerinnen und Schülern zunächst intensiv in die Geschichte eintauchen sollten. Die Schülerinnen und Schüler sollen genügend Zeit haben,

  • um die Geschichte zu verstehen,
  • um sich in die beteiligten Personen hineinzuversetzen: in den jungen Soldaten, um seine Entscheidung, beim alten Mann zu bleiben, seine Haltung mitfühlender Anteilnahme nachzuvollziehen und zu verstehen, aber auch in die Krankenschwester, die fassungslos auf das Verhalten des Soldaten reagiert.

Erst in einem zweiten Schritt folgt die Auseinandersetzung mit philosophischen und ethischen Fragen, die über die konkrete Geschichte hinausführen.9

Das Unterrichtsvorhaben haben wir in folgenden Schritten geplant und durchgeführt:

1. Die Geschichte lesen und inhaltlich verstehen.

2. Das Gespräch zwischen der Krankenschwester und Jacques Valin weiterführen:

«Ja, aber … warum haben Sie es um Himmelswillen nicht gleich gesagt?» Fassungslos betrachtet die Schwester diesen grossen Jungen, 22 Jahre alt, mit kurzgeschorenem Haar und ruhigen, müden Augen.

3. Schriftliches Nachdenken

  • Einen Tagebucheintrag schreiben aus der Sicht des Soldaten über das, was er in Marseille erlebt hat.
  • Einen Brief aus Sicht der Krankenschwester an ihre Freundin schreiben.
  • Einen Brief aus Sicht des Soldaten an seine Freundin schreiben.

4. Philosophisches Gespräch (ausgehend von der Geschichte über die Geschichte hinaus)

  • Hat der junge Soldat aus eurer Sicht richtig gehandelt? Gründe dafür und dagegen
  • Hat er die Rolle des Sohnes gespielt? Oder war es mehr als ein «Spiel»?
  • Hat er den alten Mann hintergangen?
  • Was wäre geschehen, wenn Jacques Valin nicht beim alten Mann geblieben wäre?
  • Haben wir gegenüber Familienangehörigen (Eltern, Bruder, Schwester …) besondere Pflichten?

Einblicke in dokumentierte Praxis

Die Briefe, die ich ausgewählt habe und im Folgenden kommentiere, entstanden im Rahmen des Schreibauftrages (3.):

In diesen Briefen zeigt sich die Fähigkeit der Jugendlichen, sich in die handelnden Personen, in ihr Wahrnehmen, Fühlen, Denken und Handeln und in die Situation in diesem Spitalzimmer in Marseille hineinzuversetzen. Ihr moralisches Wahrnehmungsvermögen, ihre Imaginationskraft und Sensibilität für das, was in jenem Augenblick ethisch auf dem Spiel stand, kommen darin eindrücklich zur Sprache.

Brief 1

Kommentar

In diesem Brief widerspiegelt sich eindrücklich, wie dieses Erlebnis den jungen Soldaten aufgewühlt hat (und er es am Abend noch ist, als er an seine Verlobte Antoinette schreibt: «Ich vermisse dich schrecklich…»).

Dass dieser Tag «ein emotionaler Tag» für Jacques Valin gewesen ist, beschreibt die Schülerin mit grosser Sensibilität: Bevor er die Tür zum Spitalzimmer öffnet, beginnt «sein Herz schneller zu schlagen» und ihm wird «heiss». Dass das Mitleid ihm die Situation erschliesst, zeigt sich darin, wie er den sterbenden alten Mann beschreibt: «Er sah blass und kraftlos aus», doch als dieser ihn sah, «fingen seine Augen an zu leuchten und er lächelte unsicher.»

Die Reaktion des alten Mannes, seine leuchtenden Augen und sein unsicheres Lächeln, evozieren die unmittelbare, präreflexive moralische Gewissheit in Jacques Valin: «In diesem Moment war mir bewusst, dass sich nicht einfach aus dem Zimmer gehen würde …». Er sieht den Anspruch, den die Situation in diesem Augenblick an ihn stellt, und er weiss, was von ihm gefordert ist: Der alte Mann braucht seine Anwesenheit, damit er in Frieden sterben kann.

Jacques Valin hat den Entscheid, beim sterbenden Mann zu bleiben, nicht nach rationaler ethischer Abwägung der Gründe gefällt, sondern die Situation selbst – der einsame alte Mann in diesem Spital-zimmer in Marseille, der verzweifelt auf das Kommen seines Sohnes hofft – hat ihm die Entscheidung nahegelegt; das heisst die Situation hat ihn dazu bewegt, zu bleiben.

Eindrücklich beschreibt anschliessend die Schülerin die Unsicherheit des jungen Soldaten: Langsam geht er auf den alten Mann zu und setzt sich auf einen «wackeligen Holzstuhl». In seiner Unsicherheit tut er einfach das Naheliegende: Er nahm «seine kühle Hand und schenkte ihm ein Lächeln». Das Mitleid bewegte ihn dazu, den Sterbenden in seinen letzten Stunden nicht alleine zu lassen.

Nachdem er der fassungslosen Krankenschwester erklärt hat, warum er geblieben ist, macht er sich «erschöpft» auf den Weg zurück in seine Kaserne nach Deutschland. Die Schülerin lässt ihn – nun aus einer gewissen Distanz – im vorletzten Abschnitt seines Briefes auf diesen aussergewöhnlichen Tag zurückblicken. Er ist «froh», dass er geblieben ist «und für den Mann da war.» Dem Einwand, den wahrscheinlich die Krankenschwester bereits vorgebracht hatte, nämlich dass er dem alten Mann nicht die Wahrheit gesagt habe, begegnet er mit dem lapidaren Satz: «Es war mir egal, ob ich ihn kannte oder nicht und ob er zu meiner Familie gehörte oder eben auch nicht.» Ein vernünftiges Argument, mit dem er sich für sein Verhalten rechtfertigen könnte, ist diese Aussage nicht. Der ganze Brief hingegen, in dem der junge Soldat eindringlich erzählt, was er an diesem Tag erlebt hat, lässt sich verstehen als Appell seine Verlobte, sich imaginativ in seine Situation zu versetzen und die Beweggründe seines Verhaltens zu verstehen. Wenn der Brief dieses Ziel erreicht, gewinnt sein Verhalten in jenem Spitalzimmer elementare Evidenz.

Brief 2

Kommentar

Auch in diesem Brief zeigt sich eindrücklich, wie Jacques Valin durch die Situation ethisch in Anspruch genommen wird. Als er das Spitalzimmer wieder verlassen wollte, lässt ihn das Rufen des alten Mannes nach seinem Sohn innehalten, und er wendet sich wieder dem Sterbenden im Bett zu. Eine Begründung, warum er beim alten Mann bleibt, ist in diesem Augenblick nicht notwendig. Es versteht sich von selbst, warum er geblieben ist: «Ich konnte ihn einfach nicht allein lassen.» Diese Antwort genügt. In dieser Formulierung wird die «Unwidersprechlichkeit» des Anspruchs sichtbar, mit dem ihn die Situation konfrontiert: Er konnte nicht anders handeln. Er sieht den einsamen alten Mann und weiss, was er zu tun hat.

Brief 3

Kommentar

Dieser Brief nimmt die Perspektive der Krankenschwester ein. In ihm widerspiegelt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit in der Beurteilung des Geschehens: Zunächst reagiert sie mit Unverständnis und Wut auf den Soldaten, als dieser ihr sagt, dass er nicht der richtige Sohn des alten Mannes sei. Sie stellt ihn zur Rede, und offensichtlich gelingt es Jacques Valin, ihr die Beweggründe seines Verhaltens einsichtig zu machen: Er wolle nicht, «dass der alte Mann einsam und alleine verstirbt». Nun konnte sie den Soldaten «sehr gut verstehen».

Es sind nicht theoretische Gründe, die Jacques Valin zum Bleiben bewegt haben. Er rekurriert nicht auf eine allgemeingültige Forderung, zum Beispiel: «Es ist geboten, einem auf Hilfe angewiesenen Menschen zu helfen», sondern er formuliert einen praktischen Handlungsgrund, der auf die konkrete Situation bezogen ist: Er will nicht, dass der alte Mann «einsam und alleine» stirbt.

Dass die Situation für die Krankenschwester emotional bewegend und ambivalent war, formuliert die Schülerin eindrücklich: «Es war sehr verrückt und verwirrend». Letztlich scheint das Gespräch der Krankenschwester die Augen für die Menschlichkeit des Verhaltens von Jacques Valin geöffnet zu haben, denn: «die Geste des Mannes hatte mich sehr glücklich gemacht».

Zum Schluss

Mit diesen Schreibaufträgen hat sich das Nachdenken über philosophische Fragen, die in dieser Geschichte begegnen, nicht erschöpft. Selbstverständlich lohnt sich in einem zweiten Schritt das Nachdenken über philosophische Fragen, die ausgehend von dieser Geschichte, über sie hinausführen. Ich nenne nur einige wenige:

  • Hat Jacques Valin richtig gehandelt? Welche Gründe sprechen dafür? Welche dagegen?
  • Warum war er sich sicher, dass er richtig gehandelt hat?
  • Was wäre geschehen, wenn Jacques Valin nicht beim alten Mann geblieben wäre?
  • Hat er den alten Mann nicht hintergangen oder gar belogen? Gibt es Situationen, in denen man lügen darf? Oder gar muss?
  • Hat er die Rolle des Sohnes gespielt? Oder war es mehr als ein «Spiel»?
  • Was schulden Kinder ihren Eltern?
  • Haben wir gegenüber Familienangehörigen (Eltern, Bruder, Schwester …) besondere Pflichten? Oder haben wir gegenüber allen Menschen die gleichen moralischen Pflichten?

Philosophisches und ethisches Nachdenken führt immer wieder über die Fragen und Herausforderungen hinaus, wie sie uns in konkreten Situationen, in Geschichten, im Alltag begegnen. Da geht es immer auch um Abstraktion von der jeweiligen Situation, um theoretische Reflexionen, um Begriffsklärungen und kohärentes Argumentieren. Dieses Einüben philosophischen Denkens ist wichtig. Es muss aber – zumindest in der Schule – immer auf die Lebenswelt bezogen bleiben, wenn es einen Beitrag zur ethischen Bildung der Kinder und Jugendlichen10 leisten soll.

Nur wenn wir sehen, was in einer Situation ethisch auf dem Spiel steht, und erkennen, mit welchen Ansprüchen wir konfrontiert werden, können wir auch kritisch darüber nachdenken, ob unsere intuitiven und emotionalen Reaktionen der jeweiligen Situation auch gerecht werden. Insofern ist die Kultivierung der moralischen Wahrnehmung und damit einer Haltung der mitfühlenden Anteilnahme der Boden, auf dem ethisch verantwortliches Denken und Handeln erst gedeihen kann.

Weiterführende Literatur

  • Jonas, Hans (1984): Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M., S. 232-242.
  • Ammann, Christoph (2017) Wer wissen, muss fühlen. Zur Rolle von Emotionen, bei der Erschliessung des Ethischen, in: Kerygma und Dogma (63) 2017, S. 132-154.
  • Fischer, Johannes (2017): Verstehen statt Begründen. Warum es in der Ethik um mehr als um Handlungen geht, Stuttgart.
  • Dalferth, Ingolf U.(2013): Mitleid. Vom Mitgefühl zur Nächstenliebe, in: ders., Selbstlose Leidenschaften, Tübingen, S. 230-263.
  • Merkel, Linda (2019): Der Beitrag narrativer Texte zur philosophischen Reflexion, URL: [http://www.philovernetzt.de/index.php/konstruktionsprinzipien/ [22. Januar 2025].

Bibliografie

Härtling, Peter (1990a): Über die Schwierigkeiten und das Vergnügen beim Schreiben für Kinder, in: ders., «Wer vorausschreibt, hat zurückgedacht.», Essays Sammlung Luchterhand, Frankfurt a. M., S. 11-15.

Härtling, Peter (1990b): Fünf Überlegungen beim Schreiben von Kinderbüchern, in: ders., «Wer vorausschreibt, hat zurückgedacht.», Essays Sammlung Luchterhand, Frankfurt a. M., S. 24f.

Hauskeller, Michael (2001): Versuch über die Grundlagen der Moral, München (darin besonders: Kap. 31 Die Bedeutung des Geschichtenerzählens für die moralische Erziehung, S. 205-213 und Kap. 32 Die Rolle des Gefühls für die moralische Wahrnehmung, S. 213-217).

Anhang

Pierre Bellemare, Der Sohn (Erzählvorlage)

I

An einem milden Herbsttag in Marseille sind die Strassen voll von Menschen. Die südfranzösische Hafenstadt gleicht einem Ameisenhaufen. Und mittendrin bewegt sich ein alter Mann. Niemand kennt ihn, niemand achtet auf ihn. Ein unbedeutender, weisshaariger Greis unter vielen geschäftigen Leuten.

Wer aber nur ein bisschen näher hinsehen würde, dem würde der alte Mann auffallen. Irgendetwas stimmt nämlich nicht mit ihm. Nur schon wie er geht: ungeschickt, mühsam, mit steifen Beinen, – und viel zu langsam. Dauernd ist er im Weg.

Da bleibt der Mann plötzlich stehen, als ob er erstarrt wäre. Links und rechts eilen Männer und Frauen an ihm vorbei. Er aber bewegt sich nicht. Mit leerem Blick schaut er vor sich hin – dann bricht er zusammen.

Die Leute reagieren merkwürdig. Sie bleiben stehen. Sie bilden einen Kreis um den weisshaarigen Mann, der da am Boden liegt. Sie betrachten ihn erstaunt, ja schockiert, aber niemand wagt es, ihn anzurühren.

Endlich stellt eine Frau ihre Handtasche auf den Boden. Zögernd geht sie näher zu dem Alten, kniet sich hin, legt sogar ihre Hand auf sein Gesicht. Dann schaut sie sich um und sagt: «Er lebt noch. Holt einen Krankenwagen!»

Jetzt drängen sich noch mehr Leute um die kleine Gruppe:

«Was ist hier los?»

«Was hat der Mann?»

«Gehen Sie doch zurück, der Mann braucht Luft!»

«Ach was, ein alter Säufer wahrscheinlich. Immer das gleiche Elend mit diesen Leuten!»

«Wo bleibt denn die Polizei? Verdammt noch mal! Der muss doch hier weg! Der kann doch nicht einfach auf der Strasse liegen!»

Die Polizei ist schon da, mit heulender Sirene. Für die herumstehenden, ratlosen Leute eine Erleichterung. Jetzt wird alles von den uniformierten Männern bestens geregelt. Und da kommt auch schon der Krankenwagen. Jetzt braucht sich niemand mehr verantwortlich zu fühlen. Die Geschichte geht weiter in irgendeinem Spital. Den alten Mann kann man wieder vergessen.

II

Im Krankenauto kümmern sich die Sanitäter um den bewusstlosen Greis. Sie suchen auch nach seinen Papieren. Aber sie finden nichts. Kein Ausweis, keine Adresse, nichts. Wer wohl der alte Mann sein mag?

Doch, da! In einer Manteltasche steckt ein zerknitterter Brief. Ein Brief, der wohl schon hundertmal gelesen und immer wieder gelesen worden ist. Viele Wochen alt.

Im Spital stellen die Ärzte ihre Diagnose. Es ist nichts mehr zu machen – der Mann stirbt. Ein paar Stunden vielleicht schafft es das verbrauchte Herz noch, dann wird es aufhören zu schlagen wie ein Uhrwerk, das zum letzten Mal abgelaufen ist.

Hat der Mann irgendwelche Angehörigen? Man müsste sie unverzüglich benachrichtigen! Aber auf dem Tisch liegt nur der zerknitterte Brief, und da steht so wenig drin. … Der Pfleger liest ihn noch einmal aufmerksam: er wurde von einem Soldaten geschrieben und in Deutschland aufgegeben, weit weg von Marseille! Immerhin ist der Name des Soldaten lesbar: Galin J. Und auch seine Kenn-Nummer ist zu entziffern: «56023». Im Brief selber steht nichts Wesentliches: wie es in der Kaserne zu und her geht; und am Schluss stehen die Worte: «Warte auf mich und sei nicht traurig. Es dauert hier nicht mehr lange.»

Ein Name: «Galin J.» J – vielleicht Jean, oder Jacques. Und eine Kenn-Nummer: «56023». Schliesslich eine Kaserne irgendwo in Deutschland. Da müsste es doch eigentlich möglich sein, den Sohn ausfindig zu machen! Vielleicht kann er sofort kommen? Vielleicht kann er seinen alten Vater nochmals sehen! Wozu gibt es Telefone und Flugzeuge?

Der Pfleger beugt sich über den alten Mann: «Monsieur – ist das ein Brief von Ihrem Sohn?»

Die Antwort ist kaum hörbar: «…mein Sohn…»

Da rennt der Pfleger ins Verwaltungsbüro des Spitals. Er hängt sich ans Telefon. In Marseille ist es jetzt 17 Uhr. Aber nach knapp einer Stunde hat er es geschafft: er kann mit einem Mann im Verteidigungsministerium in Paris sprechen, und dieser Mann ist sehr freundlich. Er begreift auch sofort, um was es geht. Er notiert sich den Namen des Soldaten: Galin J. Und die Kenn-Nummer. Er verspricht, in den Kasernen in Deutschland nachzufragen und Bescheid zu geben.

Zwei Stunden später ist der Soldat gefunden. Der zuständige Oberst unterschreibt sogleich einen Urlaubsschein. Ein Sanitätsflugzeug bringt den jungen Mann nach Genf, wo er um 22 Uhr die letzte Maschine nach Marseille erwischt. Um 23 Uhr 20 sitzt er in einem Taxi, und zehn Minuten später betritt er das Spital, wo der Vater auf ihn wartet.

III

Der Pfleger erwartet den jungen Soldaten und führt ihn ins weisse Spitalzimmer. Er drückt ihm noch schnell die Hand und geht dann hinaus.

Der Sohn zögert einen Augenblick – aber dann kommt er näher ans Bett. Der verschwommene Blick des Sterbenden fällt auf die Gestalt in Uniform, die vor ihm steht, – und da entspannen sich seine Züge. Er lächelt fast ein wenig und bewegt seine Hand.

Der junge Mann setzt sich ans Bett. Mit seiner kräftigen Hand umschliesst er die alten, gebrechlichen Finger. Und dann bleibt er ganz ruhig, ohne zu sprechen, beim Vater sitzen.

Langsam, sehr langsam verstreichen die Stunden. Ein paar Mal versucht der alte Mann etwas zu sagen, aber er kann nur noch «Jean» flüstern. Den Rest drückt er mit seiner Hand aus, die den Soldaten nicht mehr loslässt.

Und der Soldat wacht. Der Sohn wacht am Sterbebett des Vaters.

Ab und zu kommt ein Pfleger herein, schaut sich die Geräte an, überprüft die Tropfflasche, die über dem Bett hängt, dann geht er auf Zehenspitzen wieder hinaus. Der alte Mann leidet jetzt nicht mehr. Man erleichtert ihm das Ende.

Gegen 5 Uhr morgens am 20. Oktober 1962 atmet der Kranke nicht mehr. Eine Schwester kommt, dreht an einem Knopf und schaltet die Apparatur ab. Es ist vorüber.

Der Soldat löst sanft seine Hand aus der des Alten, schaut den Toten ein letztes Mal an und sagt zur Schwester:

«Jetzt sollte man den Sohn benachrichtigen.»

«Ja, … aber… Sie…»

«Nein, Schwester, ich bin nicht sein Sohn. Ich habe diesen Mann nie vorher gesehen. Er war nicht mein Vater. Sie müssen seine Angehörigen benachrichtigen – für die Formalitäten und so.»

«Ja aber … warum haben Sie es um Himmelswillen nicht gleich gesagt?»

Fassungslos betrachtet die Schwester diesen grossen Jungen, 22 Jahre alt, mit kurzgeschorenem Haar und ruhigen, müden Augen.

Der Soldat hiess nicht Jean Galin, sondern Jacques Valin. Und seine Kenn-Nummer begann mit einer Vier, nicht mit einer Fünf. Bei den Telefongesprächen und bei der eiligen Suche war nicht alles richtig übermittelt worden. Daher stand der falsche Soldat am Sterbebett.

Aber er ist geblieben.11

Anmerkungen

1 Vgl. zum Folgenden Christoph Ammann, «Lernen in ethischen Kontexten – in ethischen Kontexten lernen». Vortrag an der Pädagogischen Hochschule in Zürich 2016 (Manuskript).

2 Vgl. Fischer, Johannes (2017): Verstehen statt Begründen. Warum es in der Ethik um mehr als um Handlungen geht, Stuttgart.

3 Zur Bedeutung der Emotionen für die Ethik vgl. Ammann, Christoph (2007): Emotionen – Seismographen der Bedeutung. Ihre Relevanz für die christliche Ethik, Stuttgart.

4 Vgl. Dalferth, Infolf U. (2013): Mitleid. Vom Mitgefühl zur Nächstenliebe, in: ders., Selbstlose Leidenschaften, Tübingen, S. 230-263.

5 Pierre Bellemare, Unglaubliche Geschichten, Nymphenburger Verlag, o. J., siehe Anhang(Vorlage von mir redaktionell leicht angepasst). Pierre Bellemare suchte in Zeitungsarchiven und Polizeiakten nach unglaublichen Geschichten und bereitete diese literarisch auf.

6 Eine ethische Reflexion könnte etwa nach folgenden Schritten ablaufen:

  1.     Es ist unsere moralische Pflicht, Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, zu helfen.

  2.     Dieser alte Mann im Spital von Marseille ist ein Mensch, der auf Hilfe angewiesen ist.

  3.     Deshalb ist es meine Pflicht, diesem alten Mann hier zu helfen.

7 Vgl. Jonas, Hans (1984): Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt a. M., darin S. 232-242.

8 Vgl. Luckner, Andreas (2005): Klugheit, Berlin/New (Grundthemen Philosophie).

9 Neben ethischen Kompetenzen werden auch sprachliche Kompetenzen vielfältig gefordert und gefördert, nicht nur aus dem Kompetenzbereich D6 «Literatur im Fokus».

10 Vgl. den Essay von Peter Bieri, Wie wäre es, gebildet zu sein? München 2017.

11 Die Veröffentlichung der Erzählung «Der Sohn» von Pierre Bellemare erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verbandes Kind und Kirche https://www.kindundkirche.ch/.

Artikelnachweis
Pfeiffer, Matthias (2025). Mitfühlende Anteilnahme. Zur Bedeutung von Geschichten für die ethische Bildung und Erziehung, in: erg.ch – Materialien für das Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (Online-Publikation), www.ethik-religionen-gemeinschaft.ch/matthias-pfeiffer-mitfuehlende-anteilnahme


Über Matthias Pfeiffer

Dr. Matthias Pfeiffer ist Dozent für «Religionen, Kulturen, Ethik» an der Pädagogischen Hochschule Zürich und war Mitglied des Projektleitungsteams für die Erarbeitung des Lehrmittels «Schauplatz Ethik».