Das Mädchen aus dem Swat-Tal


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Das Mädchen aus dem Swat-Tal

Ein Dokumentarfilm über das Engagement der jüngsten Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai

Malala – Ihr Recht auf Bildung, Dokumentarfilm, 84′, USA 2015.
Filmheft Malala – Ihr Recht auf Bildung. mit Materialien für die schulische und ausserschulische Bildung, Berlin 2015, https://www.visionkino.de/fileadmin/user_upload/Unterrichtsmaterial/filmhefte/Filmheft_Malala_Ihr_Recht_auf_Bildung.pdf
Von Sarah Gfeller

Vater und Tochter: Einsatz für Bildung

Wo fängt das Recht auf Bildung an? Wo hört die Selbstbestimmung auf? Wer gibt dabei welche Möglichkeiten und Grenzen vor? Wie ist es, in einem Staat die Schule zu besuchen, der Mädchen und Frauen den Zugang zur Bildung zunehmend einschränkt?

Den roten Faden des Films «Malala – Ihr Recht auf Bildung» bildet eine paschtunische Erzählung über ein afghanisches Mädchen, das im Krieg gegen die Engländer seine Stimme erhebt und dafür sein Leben lässt. «Es ist besser, einen Tag wie ein Löwe zu leben als hundert Jahre wie ein Sklave», sagt sie. Nach diesem Mädchen ist Malala benannt. Ihr Vater hat diesen Namen für sie bestimmt und in den Familienstammbaum eingetragen, der in seinem 300-jährigen Bestehen bisher nur männliche Mitglieder aufführt.

Der Film animiert Szenen aus der Erzählung des afghanischen Mädchens und der Kindheit Malalas mit eindringlichen Bildern, was die Parallele beider Lebensgeschichten unterstreicht. Malala lebt im pakistanischen Swat-Tal, wo die Taliban den Schulbesuch für Mädchen zunehmend beschränken und schliesslich vollkommen verbieten. Malala beginnt, sich für das Recht von Mädchen auf Bildung einzusetzen. Unter einem Pseudonym schreibt sie für die britische Fernsehgesellschaft BBC ein Online-Tagebuch, in dem sie über die Geschehnisse aus der Heimat berichtet. Als ihr dies nicht mehr ausreicht, zeigt Malala auch ihr Gesicht. Sie ist längst im ganzen Land bekannt, als sie im Alter von 12 Jahren einen Kopfschuss erhält. Nie hätte ihr Vater gedacht, dass die Taliban auch Kinder angreifen würden …

Mit viel Glück überlebt Malala. Zu ihrem Schutz siedelt die Familie nach England über, wo sie bis heute lebt. Von dort führt Malala ihren Kampf weiter. Zusammen mit ihrem Vater gründet sie die Organisation «Malala Fund», die sich sich für das weltweite Recht von Mädchen auf Bildung einsetzt. Malalas heutiges Leben ist geprägt von Presseauftritten, Werbeveranstaltungen, TV-Shows, Buch-Vernissagen und Lesungen. Der Film gibt daneben Einblick in ungezwungene Szenen mit ihren Geschwistern und in ihren Schulalltag. Er deutet an, wie sich ein pakistanisches Mädchen in ihrer neuen Lebenswelt in England zurechtzufinden versucht. Der Film zeigt, wie schwierig es für Malala ist, sich den gleichaltrigen Mädchen ihrer Schule zu öffnen, und was sie über kurze Röcke und einen festen Freund denkt. Wie Malala peinlich berührt kichern muss, wenn der Filmemacher sie fragt, ob sie an Roger Federer mehr sein Tennisspiel oder seine Frisur möge. Es ist Malala selbst, die ihr Leben im Rampenlicht ein Stück weit normalisiert, indem sie festhält, dass sie zwar Politikerinnen und Rockstars treffe, jedoch wie alle anderen für die Schule lernen müsse, um ihren Abschluss zu schaffen.

Am Rande erzählt der Film auch über das politische Engagement von Malalas Vater. Es wird berichtet, wie aus einem Stotterer ein viel beachteter Redner, Lehrer, Schulgründer und Aktivist wurde, dessen wichtigstes Anliegen es stets war, seinen Schülerinnen und Schülern Reflexions- und Kritikfähigkeit mitzugeben. Der Vater sagt, es sei keine Person gewesen, die auf Malala geschossen habe, sondern eine Ideologie.

Nicht zuletzt zeigt der Dokumentarfilm eine Vater-Tochter-Beziehung, bei der die Mutter stets im Hintergrund bleibt. «Wir wurden abhängig voneinander, wie eine Seele in zwei verschiedenen Körpern», sagt der Vater über das Verhältnis zur seiner Tochter. Lebt Malala ihr eigenes Leben oder das, welches der Vater für sie vorgesehen hat? Mit dieser Frage entlässt der Film die Zuschauenden.

Thematische und methodische Bearbeitung

Der Dokumentarfilm eignet sich zur unterrichtlichen Bearbeitung ab dem 3. Zyklus. Das Netzwerk für Film und Medienkompetenz «Vision Kino» hat empfehlenswertes online zugängliches didaktisches Begleitmaterial entwickelt, das diverse Aspekte des Films aufgreift.

So sollen sich Schülerinnen und Schüler beispielsweise ein Bild über die aktuelle gesellschaftspolitische Situation in Pakistan machen oder über einflussreiche Frauen im Islam recherchieren. Dazu werden auch die Fragen nach der Verantwortung für das Attentat und die Beziehung zu ihrem Vater aufgegriffen. Könnte es gar einen Gegensatz geben zwischen dem Engagement von Malalas Vater und der von ihm gelebten Rolle als Familienoberhaupt? Kurz gibt der Film auch Malalas Kritikerinnen und Kritikern eine Stimme. Diese Statements sollen eingeordnet und Malalas Rolle als Aktivistin und Heldin in den westlichen Medien analysiert werden.

Das didaktische Material lohnt insbesondere auch wegen der Thematisierung filmischer Stilmittel. Die Lernenden sollen über den Einsatz der Animationsszenen diskutieren. Weiter sollen sie sich Gedanken machen, wie viel Emotionen ein Dokumentarfilm enthalten und hervorrufen darf. Kann ein Film die Realität überhaupt so darstellen, wie sie ist? Welchen Einfluss hat das dramaturgische Modell (assoziativ oder chronologisch) auf die Spannungserzeugung? In einigen Filmbesprechungen wurde dem Regisseur Davis Guggenheim, der durch Al Gores Film «Eine unbequeme Wahrheit» bekannt wurde, eine mangelnde Distanz zur Protagonistin vorgeworfen: Ein echtes Kennenlernen des Mädchens bleibe daher auf der Strecke – Wie stehen Schülerinnen und Schüler dazu?

Insgesamt ist «Malala – Ihr Recht auf Bildung» ein berührender Dokumentarfilm über das Leben und Wirken einer jungen Frau, der für den Unterricht trotz oder gerade wegen der angeführten Kritik verschiedenste Vertiefungsgrundlagen bietet, auch zu den Themen Menschen- und Kinderrechte, gewaltloses Engagement, Vorbilder und Idole, politisch-religiös motivierte Konflikte, Rollenbilder, Mut und Idealismus oder Filmbildung.

Artikelnachweis
Gfeller, Sarah (2017): Das Mädchen aus dem Swat-Tal. Ein Dokumentarfilm über das Engagement der jüngsten Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai, in: erg.ch – Materialien zum Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (Online-Publikation), www.ethik-religionen-gemeinschaft.ch/gfeller-das-maedchen-aus-dem-swat-tal/

Über Sarah Gfeller

Sarah Gfeller, Primarlehrerin und Psychologin, ist Co-Leiterin des Fachbereichs Medien und Beratung Religion, Ethik, Lebenskunde (MBR) am Institut für Weiterbildung und Medienbildung der PHBern.