Lehrpläne zum Ergänzungsfach «Religionslehre» und der Teilbereich Ethik


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Lehrpläne zum Ergänzungsfach «Religionslehre» und der Teilbereich Ethik

Eine kleine Problemanzeige (EFRL, Teil 4)

Die Lehrpläne im Bereich EFRL sind so disparat wie das gymnasiale Bildungswesen in der Schweiz, d. h. sie widerspiegeln die jeweiligen zu respektierenden lokalen Traditionen. Dennoch wäre eine gesamtschweizerische Diskussion wünschbar, in der die fachlichen Fragen erhoben werden, die diesem Fach zu Grunde liegen, nicht zuletzt auch im Bereich der «Ethik», der ebenfalls sehr unterschiedlich bespielt wird.
Von Andreas Kessler

1. Lehrpläne Ergänzungsfach «Religionslehre»

Die Lehrplangestaltung obliegt in der Schweiz der kantonalen Hoheit, wobei hier ein Spielraum besteht, d. h. es gilt zu unterscheiden zwischen kantonalen, einheitlichen Lehrplänen (z. B. BE) und solchen, die – kantonal bewilligt – allein für eine einzelne Schule gelten (z. B. LU). Die Lehrpläne für das EFRL richten sich insgesamt zwar strukturell am RLP94 aus, inhaltlich tun sie dies aber lediglich punktuell.

Bei der inhaltlich-stofflichen Ausgestaltung der Lehrpläne EFRL ist grob zwischen vier Typen zu unterscheiden, deren Unterschiede dem unterschiedlichen Angebotsstatus der jeweiligen Schule im Bereich RL geschuldet sind:

  • Typ 1: EFRL + obligatorischer RL für alle (z. B. LU)
  • Typ 2: EFRL + obligatorischer Unterricht als Wahlmöglichkeit zwischen Ethik und Religion (z. B. SG)
  • Typ 3: EFRL + freiwilliger konfessioneller Unterricht (z. B. ZH)
  • Typ 4: EFRL ohne zusätzlichen obligatorischen oder freiwilligen RL für alle (z. B. BE)

Hinzu kommt, dass an einzelnen Schulen das EF thematisch ausgeschrieben wird (z. B. SG), das heisst die Lernenden können z. B. einen Jahreskurs in «Mystik» belegen.[1] Das heisst je nach Schule/Kanton sind ganz unterschiedliche Vorkenntnisse zu erwarten und dementsprechend differieren die Lehrpläne (als Stoffpläne) in Bezug auf die Inhalte/Stoffe zum Teil markant. Während etwa der Berner Lehrplan[2] wegen fehlender Vorkenntnisse ein Hauptgewicht auf die materialen Kenntnisse von Religionskulturen legt, werden im Luzerner Lehrplan der Kantonsschule Alpenquai[3] die sog. Weltreligionen quasi repetiert, um als Grundlage übergreifender Themenstellungen fruchtbar gemacht zu werden. Es ist hier nicht die Absicht, einen Überblick oder gar eine Evaluation der vielen Lehrpläne zu leisten, und es ist auch nicht angezeigt, in diesem Feld nach einer curricularen Vereinheitlichung zu verlangen, da die jeweiligen Modelle kantonal gewachsene Voraussetzungen reflektieren, die es zu respektieren gilt.

Aus fachdidaktischer Perspektive stellt sich die Lehrplanfrage freilich noch einmal anders und grundsätzlicher, nämlich nicht als Frage der einzelnen Inhalte/Stoffe, sondern als Frage der zu behandelnden Fragen verbunden mit den zu erreichenden Zielen bzw. den zu erwerbenden Kompetenzen. Auch in diesem Bereich differieren die Lehrpläne beträchtlich, was auch mit der relativ freihändigen jeweiligen Adaptation des RLP94 zusammenhängt. Hier wäre eine gesamtschweizerische Diskussion als Revision des RLP wünschenswert, um eine entsprechende Fachdidaktik einigermassen konturieren zu können.

2. Lernbereich Ethik innerhalb der gymnasialen Religionslehre

Der Lernbereich Ethik wird in den verschiedenen Lehrplänen ebenso unterschiedlich verstanden wie material abgedeckt. Während etwa an der Kantonsschule Alpenquai (LU) das EF «Religionskunde und Ethik» heisst und Ethik sowohl als eigenständige (philosophische wie religiöse) Denkform wie auch als Ort der Wertevermittlung verstanden wird[4], kommt im neuen (noch nicht verabschiedeten) Lehrplan des Kantons Bern für das Jahr 2017 das Ethische als Teil der jeweiligen Religionskulturen in den Blick: «Sich mit der Frage guten Handelns in religiösen Traditionen auseinandersetzen», wobei Grundlage hierfür «religiöse Werte, Normen und deren Begründungsfiguren» sind.[5]

Die bei einem Vergleich der Lehrpläne zu konstatierende uneinheitliche Positionierung des Lernbereichs Ethik hat verschiedene Gründe: Während Lehrpläne aus der Hand von Theologinnen und Theologen Ethik wie selbstverständlich als Teildisziplin der Theologie in das Schulfach RL integrieren, sehen Lehrpläne aus der Feder religionswissenschaftlich Ausgebildeter vom Lernbereich Ethik tendenziell ab. Hinzu kommt die je nach Schule oder Kanton unterschiedlich vorgenommene Verhältnisbestimmung zwischen den Fächern Philosophie und RL.

Mit Blick auf das EFRL ist einerseits nicht von der Hand zu weisen, dass primäre Bezugsdisziplin des Lernbereichs Ethik als grundlegende Auseinandersetzung mit ethischen Werten und Normen die Philosophie ist.[6] Andererseits ist ebenso offensichtlich, dass religiöse (theologische) Traditionen – mehr oder weniger ausgeprägt und kohärent – ihre spezifischen Moralvorstellungen bzw. ethischen Begründungsmuster im kritisch-konstruktiver Auseinandersetzung mit philosophischen Positionen entwickeln und entsprechend im gesellschaftlichen Konzert der Meinungen mitspielen. Ohne den Philosophieunterricht konkurrenzieren zu wollen, liegt es daher in der Sache von «Religion» selbst, Ethik als Lernbereich zu thematisieren. Sicher soll dabei die Frage nach dem guten Handeln in religiösen Traditionen prinzipiell rekonstruiert werden. Anschaulich und für die Lernenden attraktiv ist jedoch insbesondere das Feld der angewandten Ethik, bietet es doch breite Lernmöglichkeiten, die sich in zwei Fragerichtungen ausdifferenzieren: es geht um allgemeine, die Gesellschaft betreffende ethische Fragen, die auch die religiösen Traditionen beschäftigen (z. B. PID, Präna-Tests, Suizidhilfe etc.) oder um spezifisch Religion und Religionen betreffende Fragen, die auch die Gesellschaft als Ganze beschäftigen (z. B. Schutz religiöser Gefühle? Bau von Minaretten? Kopftuchverbot für Lehrerinnen? Ausschluss von Frauen aus dem kath. Priesteramt? etc.). Jedoch ist ein Ethikunterricht im EFRL, der nicht spezifisch die religiösen Stimmen thematisiert, sondern ein allgemeiner Ethikunterricht ist, nicht bei seiner Sache, sondern hat diese dem Fach Philosophie zu überantworten.

Die Frage der «Wertevermittlung» ist kein spezifischer Auftrag an das EFRL, sondern mit Blick auf MAR Art. 5 ein Anliegen der gymnasialen Bildung als solcher. Dass gerade im Bereich Religion/Religionen Werthaltungen wie Toleranz, Empathiefähigkeit, Respekt etc. prominent in offener Auseinandersetzung individuell konturiert werden, liegt wiederum in der Sache selbst und nicht zuletzt in den diesbezüglichen hohen Erwartungen der Lernenden[7].

Literatur

Haener, Stefan (2014): «Es muss doch mehr als alles geben.» Ein Einblick ins Ergänzungsfach «Mystik» an der Kantonsschule Wil, in: Erwägungen. Journal der Theologischen Bewegung für Solidarität und Befreiung – TheBe 2/14, S. 7–9.
Kessler, Andreas / Ramsel, Carsten (2015): «Heutzutage ist es ein sehr brisantes Thema» (w, 18) Eine Evaluation unter Deutschschweizer GymnasiastInnen zur gewünschten Kontur eines bekenntnisunabhängigen Religionsunterrichts, in: Theo-Web. Zeitschrift für Religionspädagogik 14 (2015), H. 2, S. 232–270, www.theo-web.de/zeitschrift/ausgabe-2015-02/21.pdf (05.06.2016).
Kantonaler Lehrplan EFRL, Kanton Bern, www.erz.be.ch/erz/de/index/mittelschule/mittelschule/gymnasium/lehrplan_maturitaetsausbildung.assetref/dam/documents/ERZ/MBA/de/AMS/ams_klm_religionslehre.pdf (05.06.2016) nicht mehr verfügbar
Pfister, Jonas (2010): Fachdidaktik Philosophie, Stuttgart.
RLP94 (1994), Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK): Rahmenlehrplan für die Maturitätsschulen, Bern, www.edudoc.ch/record/17476/files/D30a.pdf (05.06.2016).

Anmerkungen

[1] Haener 2014.
[2] Vgl. Kantonaler Lehrplan EFRL, Kanton Bern.
[3] Vgl Lehrplan EFRL Kantonsschule Alpenquai (LU).
[4] Vgl. die ethikbezogenen Grundkenntnisse, -fertigkeiten, -haltungen in: Lehrplan EFRL Kantonsschule Alpenquai (LU): «Grundkenntnisse: kennen gemeinsame Grundwerte und Grundnormen der Religionen und Weltanschauungen / kennen Problemstellung wichtiger ethischer Gegenwartsthemen und Argumentation der in der öffentlichen Diskussion vertretenen Hauptpositionen. Grundfertigkeiten: verfügen über ein Instrumentarium zur selbstständigen Bearbeitung ethischer Fragen. Grundhaltungen: orientieren sich an ethischen Grundwerten und -normen (Menschenrechte) / wissen sich verpflichtet, die Frage nach der ethischen Relevanz jeder Tätigkeit zu stellen».
[5] Der Lehrplan für 2017 ist noch nicht definitiv verabschiedet, insofern kann er hier nicht offiziell zitiert werden. Der Autor war Mitglied der Lehrplangruppe.
[6] So z. B. in der Philosophiedidaktik von Pfister 2010, S. 128.
[7] Vgl. Kessler/Ramsel 2015.
Artikelnachweis
Kessler, Andreas (2016): Lehrpläne zum Ergänzungsfach «Religionslehre» und der Teilbereich Ethik. Eine kleine Problemanzeige (EFRL, Teil 4), in: erg.ch – Materialien zum Fach Ethik, Religionen, Gemeinschaft (Online-Publikation), www.ethik-religionen-gemeinschaft.ch/kessler-efrl-teilbereich-ethik/

Über Andreas Kessler

Andreas Kessler ist Dozent für Fachwissenschaft und Fachdidaktik «Ethik, Religionen, Gemeinschaft» am Institut für die Sekundarstufe I der PHBern.