Medienbildung und Medienkompetenz im Kontext religiöser Bildung
Eine christlich-theologische Perspektive
1. Die Ambivalenzen der digitalen Medienkultur als ethische und pädagogische Herausforderung
Die Allgegenwart der digitalen Medien bestimmt in historisch bislang nicht bekanntem Ausmass die Lebenswelt heutiger Menschen, vor allem bereits der Kinder und Jugendlichen. Daraus ergeben sich u. a. folgende Chancen und Probleme gleichermassen.
Chancen
- Erleichterung, Beschleunigung und Vervielfältigung zwischenmenschlicher Kommunikation;
- gute Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Informationen und Bildungsgehalten;
- vielfältige Lernumwelten mit hohem Anregungsgehalt und vielfältigen Möglichkeiten zur Identitätsentwicklung;
- Förderung ortsunabhängiger, internationaler und interkultureller Kommunikation.
- Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts durch Förderung einer gemeinsamen Öffentlichkeit;
- Förderung eines hohen Grads an selbstbestimmtem Leben, Lernen und Arbeiten;
- Förderung von Demokratie und Mitbestimmung durch erweiterte Möglichkeiten gesellschaftlicher und politischer Partizipation (insbesondere durch das Internet);
- Überwindung persönlicher Benachteiligungen (z. B. spezielle Medien für körperlich oder geistig Behinderte; Partizipationsmöglichkeiten für alte Menschen); u. a. m.
Probleme
- Behinderung zwischenmenschlicher Kommunikation durch einseitige, übermässige und selbstisolierende Mediennutzung;
- Behinderung von Bildung durch starke Dominanz von oberflächlicher «Unterhaltung» in den und durch die Medien;
- Verstärkung sozialer und bildungsbezogener Unterschiede («Medienkluft»: Bildungsnahe werden durch ihre Mediennutzung noch gebildeter – Bildungsferne durch ihre Mediennutzung noch ungebildeter; Abhängigkeit der Medienmöglichkeiten von finanziellen Ressourcen);
- Fragmentierung und Zerstörung von gemeinsamer Öffentlichkeit durch digitale Echokammern und Filterblasen (in denen jeder nur noch seine eigene Meinung bestätigt bekommt);
- Risiken der Entwicklung suchtähnlicher Mediennutzungsweisen;
- freie Zugänglichkeit problematischer Inhalte für Kinder und Jugendliche (z. B. exzessive Gewaltdarstellungen, Pornografie);
- Schädigung von Menschen durch Datenmissbrauch (Cybermobbing, Datenbetrug etc.);
- manipulative Tendenzen der Medien durch kommerzielle Interessen; u. a. m.
2. Tendenzen und Probleme der gegenwärtigen Diskussion um die digitalen Medien
Häufig krankt die öffentliche Diskussion um die digitalen Medien, gerade auch im kirchlichen und schulischen Raum, an einer zu wenig ausgewogenen und differenzierten Wahrnehmung der Chancen und Probleme der Medien. Medieneuphoriker stehen Medienkritikern gegenüber. Erstere halten die digitalen Medien tendenziell für die Lösung aller Menschheitsprobleme und im Schulbereich für die Lösung aller Bildungsprobleme: Wenn nur alle Schülerinnen und Schüler ihren eigenen Tablet-Computer haben, geht das Lernen wie von selbst und Lehrerinnen und Lehrer werden über kurz oder lang überflüssig. Pauschalisierende Medienkritiker machen tendenziell die Medien für zahlreiche negative gesellschaftliche Entwicklungen (mit-) verantwortlich; so wird z. B. häufig recht ungeprüft der Konsum von zu viel Mediengewalt als Ursache für wahrgenommene Aggressivität unter Heranwachsenden betrachtet, ohne nach den sozialen und gesellschaftlich-strukturellen Hintergründen sowie sozial- und jugendpolitischen Versäumnissen zu fragen. Nach internationalen Vergleichsstudien sind es gerade deutsche Lehrerinnen und Lehrer, die den digitalen Medien besonders kritisch bis ablehnend gegenüberstehen und häufig, ebenso wie viele Kirchennahe, die «direkte» sinnliche Begegnung mit der Wirklichkeit sowie die «unmittelbare» face-to-face-Kommunikation beschwören – zugleich aber das (mindestens so selbstisolierende) Medium Buch hochhalten.
Damit die digitale Medienkultur aus christlicher Sicht fundiert beurteilt werden kann und angemessene Konsequenzen für Erziehung und Bildung gezogen werden können, braucht es
- ein grundlegendes Verständnis dafür, was Medien für den Menschen bedeuten (medienanthropologische Grundlagen), vgl. Abschnitt 3
- ein grundlegendes Verständnis für Zusammenhänge zwischen Religion und Medien (religionstheoretisch-theologische Grundlagen), vgl. Abschnitt 4
- empirisch gesicherte Erkenntnisse darüber, wie die digitalen Medien auf Menschen (insbesondere auf Kinder und Jugendliche) wirken (rezeptionspsychologische Grundlagen), vgl. Abschnitt 5
- ethische Massstäbe, an denen sich solche Urteile orientieren können (christlich-ethische Perspektiven), vgl. Abschnitt 6.
3. Die Bedeutung von Medien für den Menschen (medienanthropologische Grundlagen)
Die grundlegende Bedeutung von Medien für den Menschen wird deutlich, wenn man den Begriff «Medien» weit fasst und nämlich als Mittel der Kommunikation. Mit den ersten Werkzeugen hat der Homo sapiens bereits Zeichnungen und Symbole auf Höhlenwände, Steine und Holzstücke geritzt und damit eine «mediale Wirklichkeit» geschaffen: Die an der Höhlenwand dargestellte Büffeljagd hat gleichsam virtuellen Charakter. Vor allem mit der Entwicklung der Sprache verfügte der Mensch über ein Medium, das ihm erlaubte, nicht gegenwärtige Wirklichkeit zu ver-gegenwärtigen, zu re-präsentieren, vorhandene Wirklichkeit mit Bedeutung zu versehen und sogar durch seine Phantasie eine eigene Wirklichkeit zu schaffen, z. B. die Wirklichkeit der Geister, Dämonen oder Götter.
Der Mensch ist, so gesehen, von Anfang an und grundsätzlich ein «homo medialis», den gerade der systematische Gebrauch von Kommunikationsmitteln vom Tier unterscheidet. Mit Hilfe von Medien im weiten Sinn deutet und konstruiert der Mensch seine Welt und schafft dadurch «Kultur». Jeder Mensch ist von Anfang an in seine Kultur verwoben und damit auch in die Medien, welche die kulturellen Bedeutungen von Wirklichkeit vermitteln. Kulturgeschichtlich gesehen hat der Wechsel von einem dominanten Medium zum anderen immer Verluste und Gewinne mit sich gebracht. So war der Übergang von der mündlichen Kultur zur Schriftkultur neben den Vorteilen auch mit einem Verlust an persönlichen Beziehungen und kommunikativer Lebendigkeit verbunden. In ähnlicher Weise sind mit dem heutigen starken Vordringen der Bildmedien auf Kosten der Schriftsprache Verluste, aber auch Gewinne (z. B. leichtere Zugänglichkeit, grössere Unmittelbarkeit, höhere Emotionalität) verbunden.
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4. Zusammenhänge zwischen Religion / Christentum / Protestantismus und Medien
Für den christlichen Glauben spielen persönliche Beziehungen, direkte «face-to-face»-Gespräche und leibhaftige Gemeinschaft eine herausragende Rolle. Dennoch gilt auch: Weil Gott nicht zur wahrnehmbaren Weltwirklichkeit gehört, ist seine Existenz grundsätzlich nur durch Medien (z. B. durch Erzählungen oder durch Bilder) vermittelbar. Und die Entstehung und Verbreitung des Christentums ist ohne die Medien der biblischen Schriften schlechterdings nicht denkbar, wobei die Überlieferung des christlichen Glaubens über die Jahrhunderte durch eine Vielfalt weiterer Medien gefördert wurde, angefangen von Symbolen über Bilder und künstlerische Darstellungen bis hin zu Architektur und Musik, zu Zeitungen und Zeitschriften sowie den elektronischen Medien unserer Tage.
In diesem doppelten Sinn kann man das Christentum also in der Tat als Medienreligion bezeichnen: Es braucht Medien sowohl zur Darstellung von religiöser Wirklichkeit überhaupt als auch zur Vermittlung und Weitertradierung der christlichen Glaubenserfahrungen. In besonderer Weise sind Medien, angefangen von der deutschen Bibelübersetzung Luthers über die reformatorischen Flugschriften und Predigtbilder bis hin zu den geistlichen Liedern der Reformation für den Protestantismus bedeutsam geworden. Von daher macht es wenig Sinn, wenn gerade Christinnen und Christen pauschal und einseitig gegen die Mediatisierung von Wirklichkeit Stellung beziehen. Vielmehr können sie auf eine reiche Tradition und ausgeprägte Kompetenz des Christentums im reflektierten Umgang mit Medien und mit der Vielschichtigkeit von Wirklichkeit verweisen, die sich für eine ethische Orientierung hinsichtlich der heutigen digitalen Medienkultur fruchtbar machen lässt (siehe Abschnitt 6).
In jüngerer Zeit ist das Bewusstsein dafür gewachsen, dass die Überlieferung der christlichen Tradition nicht nur innerhalb der Kirche stattgefunden hat, sondern dass auch andere, seit der Neuzeit zunehmend selbstständiger gewordene Kulturbereiche wie z. B. Kunst, Literatur oder Theater dazu beigetragen haben. Auch in der aktuellen populären Medienkultur, etwa in Fernsehserien, Spielfilmen, der Popmusik oder in der Werbung finden sich immer wieder christliche Traditionselemente und solche anderer Religionen – manchmal bruchstückhaft, manchmal transformiert oder verzerrt.
Aus theologischer Sicht ist eine solche «Freisetzung» der christlichen Tradition in die allgemeine Kultur hinein grundsätzlich zu bejahen: Die Kirchen können keinen Monopolanspruch etwa auf die Verwendung christlicher Symbole geltend machen. Ihre Aufnahme im Bereich der populären Medienkultur kann zudem ein Hinweis auf ihre nach wie vor wirksame Ausstrahlungskraft und Bedeutsamkeit sein und bietet Anknüpfungspunkte für die Vermittlung des Evangeliums in die heutige Lebenswelt hinein. Dies schliesst allerdings die kritische Auseinandersetzung mit verzerrenden, an Tabubruch und der Verletzung religiöser Gefühle interessierten Darstellungen christlicher Traditionselemente ein. Auch in diesen Fällen bieten jedoch kritische Diskussionen und gemeinschaftliche Aktionen wie z. B. ein Boykott von bestimmten Produkten oder Firmen in der Regel bessere Chancen als Verbotsforderungen. Der Verweis auf gesetzliche Regelungen wie § 166 des Deutschen Strafgesetzbuchs sollte die ultima ratio in besonderen Extremfällen bleiben; der Paragraph sieht die Bestrafung desjenigen vor, der eine Religion «in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören».
Andererseits erfüllt die moderne Medienkultur für viele Menschen heute Funktionen, die traditionellerweise der Religion zugeschrieben wurden: So ermöglicht sie z. B. Sinnvergewisserung, Transzendierungen der Alltagswirklichkeit, moralische Orientierung, Auseinandersetzung mit den Kontingenzen des Lebens sowie mit den grossen Fragen des Menschseins. Die Medien geraten so in Konkurrenz zu den traditionellen Religionen, zumal sie im Gegensatz zu diesen einen hohen Grad an Freiheit, Selbstbestimmung und Unverbindlichkeit zulassen. Kirchliche Angebote müssen von daher zum ersten in ihrer Einmaligkeit, in ihren Vorzügen und ihrer Bedeutsamkeit neu profiliert werden: Was bringt Menschen beispielsweise dazu, neben Kino und Popkonzert auch noch in den kirchlichen Gottesdienst zu gehen? Zum zweiten wäre über (ergänzende) kirchliche Angebote nachzudenken, die stärker als die traditionellen dem Freiheits- und Selbstbestimmungsgefühl heutiger Menschen entsprechen. Zum dritten sollte die Medienkultur auch positiv in ihren Anschlussstellen und Anknüpfungspunkten zur kirchlichen Religionskultur und zum christlichen Glauben wahrgenommen werden. Und zum vierten können und sollten die Medien verstärkt, aber auch theologisch verantwortet, zur «Kommunikation des Evangeliums» genutzt werden.
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5. Zentrale Erkenntnisse der empirischen Medienwirkungsforschung
Medienrezeption ist ein aktiver, konstruktiver Prozess
Die landläufige Meinung geht davon aus, dass Medienrezeption, v. a. wenn es um Film und Fernsehen geht, ein weit gehend passiver Prozess ist, eben «Medienkonsum». Demgegenüber zeichnet eine Vielzahl von neueren Forschungen ein differenzierteres Bild. Rezipientinnen und Rezipienten nehmen Medien sehr unterschiedlich wahr und konstruieren aktiv die Bedeutung dessen was sie wahrnehmen. Sie gehen z. B. mit ihren eigenen Voreinstellungen, Erfahrungen und Sehgewohnheiten, mit ihren individuellen Fragen und Bedürfnissen an einen Film heran, so dass – zugespitzt gesagt – jede und jeder seinen bzw. ihren eigenen Film sieht. Erst recht ist die Nutzung von Computer und Internet in der Regel von aktiverem Charakter.
Zuerst Familie und Freunde, dann die Medien
Ein weiteres zentrales Ergebnis der Medienforschung besagt, dass das soziale Umfeld nach wie vor einen wichtigeren Einfluss auf Kinder und Jugendliche hat als die Medien, insbesondere auch was die religiös-weltanschauliche und moralische Orientierung betrifft. Was in der Familie oder in den Freundschaftsbeziehungen läuft, hat zudem nicht nur einen grossen Einfluss darauf, welche Medien ausgewählt werden, sondern auch darauf, wie Medieninhalte verarbeitet werden. Für die Frage der Medienbildung heisst das: Der erste und zentrale Ort dafür ist und bleibt die Familie, und danach ist für ältere Kinder und Jugendliche die peergroup von besonderer Bedeutung. Dennoch dürfen die Einflüsse der Medien auf die Orientierung von Heranwachsenden (auch im religiösen und moralischen Bereich) nicht vernachlässigt werden. Sie sind gerade dann erheblich, wenn z. B. die religiöse Erziehung in Familie und Gemeinde weitgehend ausfällt.
Risikothese statt Allmachts- oder Ohnmachtsthese
Am ausführlichsten hat sich die Medienforschung mit der Frage der Mediengewalt beschäftigt. Die lange Zeit als widersprüchlich geltenden Befunde haben sich in den vergangenen Jahren zu einem doch sehr klaren Bild zusammenfügen lassen. Demnach ist es falsch, dass die Medien überhaupt keine Wirkung haben – das wäre die Ohnmachtsthese. Falsch ist aber auch, dass das Sehen von Mediengewalt automatisch zu mehr Gewaltbereitschaft und Aggressivität bei den Rezipienten führt – das wäre die Allmachtsthese. Richtig ist – und darin besteht ein grosser Konsens aller jüngeren Untersuchungen auf diesem Gebiet –, dass es ein Risiko gibt, eine Wahrscheinlichkeit, dass Mediengewalt die Gewaltbereitschaft bei solchen, vor allem männlichen Heranwachsenden verstärkt, die selbst Gewalt in ihrem sozialen Umfeld erleben, die in kaputten oder schwierigen Verhältnissen leben und die insgesamt weniger reflektiert sind. Man spricht hier von einer Risikogruppe, deren Grösse unterschiedlich eingeschätzt wird, meist aber zwischen acht und 30 Prozent angegeben wird. Andere Heranwachsende, solche aus halbwegs intakten sozialen Verhältnissen, tendenziell solche mit einem höheren Reflexionsniveau und tendenziell Mädchen, können durch die Rezeption von Mediengewalt sogar friedliebender werden und Gewalt noch mehr verabscheuen.
Auch Heranwachsende beurteilen Medien kritisch
Kinder und Jugendliche sehen Medien und ihre Inhalte mit zunehmendem Alter kritisch, vielleicht kritischer als Erwachsene ihnen das häufig zutrauen – auch das ist ein Befund der Medienforschung. Nicht zu vergessen ist die Medienkritik innerhalb der Medien bzw. zwischen den verschiedenen Medien, die Heranwachsende in einer medienkritischen Haltung stärken kann.
Die Medienkultur verändert unser Selbst- und Weltverständnis
So ändert sich z. B. das Verständnis von «Gemeinschaft» angesichts medienvermittelten Möglichkeiten des Dabeiseins; das Verständnis von «Identität» angesichts der Möglichkeiten, im Internet viele unterschiedliche Identitäten annehmen zu können; das Verständnis von «Wirklichkeit» angesichts vielfältiger virtueller Wirklichkeiten; usw.
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6. Theologisch-ethische Orientierungsmarken
Wie schon angedeutet, gewinnt eine christliche Medienethik ihre kritischen, orientierenden Perspektiven nicht aus einer Generalopposition gegen die digitalen Medien, sondern vielmehr aus der reichen Erfahrung mit Medien in ihrer der christlichen Tradition, grundlegenden anthropologischen Perspektiven sowie einer sorgfältigen Analyse der medialen Phänomene.
So beschäftigt sich z. B. bereits das alttestamentliche Medienverbot kritisch mit der problematischen Gleichsetzung von medialer und realer Wirklichkeit bzw. mit der religiösen Überhöhung von Medien: Das Bilderverbot wendet sich gegen die Identifikation von bildlichen Darstellungen mit Gott. Die Religionskritik der alttestamentlichen Propheten richtet sich gegen das Abheben der religiös-medialen Wirklichkeit von der sozialen Wirklichkeit: Wer in die Welt des religiösen Kults «abtaucht», aber im sozialen Bereich seine Mitmenschen ausbeutet, hat vom Glauben an Gott nichts verstanden – die verschiedenen Wirklichkeiten sind zwar zu unterscheiden, aber auch auf einander zu beziehen! Im mittelalterlichen und im reformatorischen Bilderstreit wurde um die Art der Gegenwart Gottes in Bildern und Zeichen – realiter oder virtualiter – gerungen. Aber auch die jahrhundertelangen theologischen Auseinandersetzungen um das angemessene Verständnis der biblischen Texte (um eine angemessene Schrifthermeneutik) lassen sich unter der Perspektive eines reflektierten Umgangs mit dem Medium Schrift lesen, der heute noch Impulse geben kann: Es kommt nicht nur darauf an, «was da steht», sondern auch darauf, mit welcher Hermeneutik es gelesen und gedeutet wird. Und schliesslich enthält die Bibel und enthalten viele klassische Werke der christlichen Kunst jede Menge, und zum Teil sehr drastische, Gewaltdarstellungen – Mediengewalt in der christlichen Tradition. Aus dem theologischen Umgang mit ihr lassen sich auch Aufschlüsse für den Umgang mit der Mediengewalt in den digitalen Medien gewinnen.
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7. Konsequenzen für die Aufgabe der Medienbildung
1. Die grosse Bedeutung der digitalen Medien in der heutigen Lebenswelt, mit ihren enormen Chancen und Risiken, verlangt nach einer konstruktiv-kritischen pädagogischen Begleitung Heranwachsender, die sie dabei unterstützt, freiheitsfördernd, selbstbestimmt und verantwortungsbewusst mit den Medien umzugehen. Dazu gehört immer auch, nicht-mediale Alternativen für Freizeit, Schule und Berufswelt aufzuzeigen, sowie innerhalb der Medienwelt auf «wertvolle» Alternativen zu wenig qualitätsvollen Angeboten aufmerksam zu machen.
2. Dabei ist zu beachten, dass die digitalen Medien heutigen Heranwachsenden nicht nur grosse Spielräume von Freiheit und Selbstbestimmung ermöglichen, sondern die Kinder und Jugendlichen auch häufig den Erwachsenen in puncto Medienbeherrschung voraus sind. Dem gilt es, in allen pädagogischen Prozessen Rechnung zu tragen, indem möglichst selbstbestimmte Lernformen angeboten werden und die (medialen) Kompetenzen der Heranwachsenden wertgeschätzt werden.
3. Aus christlicher Sicht ist zu betonen, dass Medienbildung nicht lediglich auf die Förderung kompetenten Medienumgangs enggeführt werden sollte – wie das nicht selten in bildungspolitischen Programmen zur «Medienkompetenz» geschieht. Vielmehr sollte Medienbildung in den Kontext einer umfassenden Persönlichkeitsbildung und kulturellen Bildung gestellt werden: Die Heranwachsenden sollen starke Persönlichkeiten werden, die sich gegenüber den vielfältigen, häufig verführerisch aufbereiteten Medienangeboten selbstbestimmt verhalten und auch widersetzen können. Und sie sollen die gesellschaftlichen Funktionen der Medien ebenso durchschauen können wie ihre ästhetischen, ökonomischen, politischen, ethischen und religiösen Dimensionen.
4. Einer solchen umfassenden Medienbildung entspricht das Ziel einer Medienkompetenz, wie sie einer der «Väter» der Medienpädagogik, Dieter Baacke, bereits in den 1980er Jahren skizziert hat. Medienkompetenz umfasst nach ihm die Bereiche Medienkunde, Mediennutzung, Medienkritik und Mediengestaltung. Es besteht heute ein weit gehender Konsens darüber, dass Medienbildung weiter gefasst ist und sich nicht in der Vermittlung von Kompetenzen erschöpft. Gegenüber dem bisher häufiger verwendeten Begriff «Medienerziehung» betont Medienbildung, dass es im Kern darum geht, dass die Heranwachsenden sich selbst bilden und darin unterstützt werden sollen. (Medienpädagogik gilt als die wissenschaftliche Disziplin, die sich mit Fragen der Medienerziehung bzw. -bildung beschäftigt.)
5. Die besonderen Potenziale christlich orientierten Medienbildung liegen in der Erschliessung der Bedeutung der Medien für Mensch, Kultur und Religion sowie in der (medien-)ethischen Orientierung. In kirchlichen Kontexten liegt eine besondere Chance, solche Erschliessungs- und Orientierungsprozesse zusammenzubringen und einen Rahmen sowie Räume für das Erproben von medienbezogenen Aktivitäten zur Verfügung zu stellen.
6. In der religionspädagogischen Arbeit sollte der Aspekt der Medienbildung generell immer mitberücksichtigt werden, denn: Es gibt keine religiöse Bildung ohne Medien (in einem weiten Sinn). Wie oben deutlich wurde, führt die Auseinandersetzung mit der digitalen Medienkultur häufig in zentrale Fragen hinein, die für religiöse Bildung relevant sind: Was ist Wirklichkeit? Was ist der Mensch? Wie gelingen zwischenmenschliche Beziehungen? Wie lässt sich eine an humanen Grundwerten, Menschenrechten und demokratischen Freiheiten orientierte Gesellschaft fördern?
7. Die Kirche als Institution sollte sich verstärkt einsetzen
a) für eine systematische Integration von Medienbildung in Schulen (Lehrpläne, Schulbücher – leider häufig noch unterentwickelt!), Hochschulen (Studienordnungen; spezielle Studiengänge) und anderen Bildungseinrichtungen
b) für die Förderung von medienpädagogischen Schulprofilen (insbesondere auch bei Schulen in evangelischer oder katholischer Trägerschaft; vorbildlich z. B.: Firstwaldgymnasium Mössingen: www.firstwald.de/de/schulprofil/schule.php);
c) für eine bessere Profilierung, Vernetzung, Koordination und Kooperation zwischen den zahlreichen, guten medienpädagogischen Angeboten im Bereich der evangelischen Kirchen (religionspädagogische Zentren und Institute; kirchliche Medienzentren; u. ä. ; gutes Beispiel: Netzwerk Bildungsmedien-Medienbildung in der Ev.-luth. Kirchen in Bayern);
d) für ein breites, qualitätsvolles und gut vernetztes kirchliches Angebot digitaler und cross-medialer Medien für die kirchliche und ausserkirchliche Bildungsarbeit (z. B. www.rpi-virtuell.de; die von EKD und DBK mitfinanzierte Fernsehserie Chi Rho – das Geheimnis: www.kika.de/chi-rho-das-geheimnis/);
e) für eine stärkere Präsenz von medienpädagogischen Angeboten in der Medienkultur selbst (z. B. Internationales Zentralinstitut für das Kinder- und Jugendfernsehen IZI beim Bayerischen Rundfunk: www.izi.de);
f) für eine sinnvolle Weiterentwicklung und Stärkung des Jugendmedienschutzes;
g) für die Qualitätsentwicklung von Medienangeboten für Kinder und Jugendliche (z. B. durch die Verleihung von Preisen oder Qualitätssiegel; vorbildlich: Erfurter Netcode: www.erfurter-netcode.de; Goldener Webfish der EKD: www.ekd.de/