Wissen, was in der Bibel steht
Eine unkonventionelle Hinführung zu biblischer «literacy»
Nürnberger, Christian: Keine Bibel, Stuttgart 2020 / 32021 (Gabriel im Thienemann-Esslinger Verlag)
|
Eine irritierende Aufmachung und ein provokativer Titel: abweisend schwarzer Einband, ein Pfeil, der an ein Kreuz erinnert, gelber Farbschnitt, eine merkwürdige Einladung zur Lektüre: «Keine Bibel»! Die Einleitung gibt rasche Orientierung, worum es geht: ein Buch «für Einsteiger, also die wachsende Zahl derer, die noch nie eine Bibel in der Hand hatten, aber endlich einmal wissen möchten, was eigentlich drinsteht.» Ehrlich wird gesagt, dass es auch «für einst christlich Sozialisierte» gedacht ist. Es geht um Geschichten, «die unserer Kultur eingebrannt sind». Christian Nürnberger hat vor Jahren schon einmal ein vergleichbares Buch herausgegeben, das ebenso lohnend ist («Die Bibel. Was man von ihr wissen muss» bei Rowohlt immer noch lieferbar!) wie seine Einführung «Das Christentum für Insider und Einsteiger».
Fragend lesen
Nürnbergers neues Buch ist keine Bibel, vielmehr eine Hinführung dazu. Bibeltexte werden nicht einfach abgedruckt, vielmehr aufmerksam paraphrasiert. Dies geschieht frei, in wacher Verdeutlichung des Wortlauts. Eingestreut sind «Zwischenrufe», elementare Kommentare, die nicht gelehrte Erläuterungen sind, jedoch Fragen und Ratlosigkeit beim Lesen Resonanz geben. Sie sind deshalb mit Fragen überschrieben, und eine solche kann eben auch einmal lauten: «Wie seltsam ist das denn?» Es folgen statt gewundener Erklärungen oft eher Bestärkungen beim Fragen: «Es ist alles sehr seltsam. Und seltsam geht es weiter.» Sie stellen keine geheime, versteckte, unterdrückte oder penetrante Lehrmeinungen dar. Sie verstärken vielmehr die Lektüre und leiten unaufdringlich dazu an, dass man sich einen Reim darauf machen kann. Darin besteht gerade die theologische Qualität dieser Zwischenrufe.
Das bewährt sich bei den Geschichten der biblischen Erzväter Abraham, Jakob und Isaak, besonders pointiert bei der Opferung Isaaks: «Gottes rätselhaftes, skandalöses, schockierendes Verlangen» mit dem Zwischenruf «Was soll diese abstruse Geschichte?» Überhaupt muss man auch vermeintlich platte (oder steile) Aussagen nicht als theologische Überhöhungen missdeuten: «Gott hatte einen Plan. Dafür brauchte er ein Volk.»
Die Perspektive eines evangelischen Agnostikers
Auf ganz wenigen Seiten gelingt Nürnberger eine elementare Einleitung ins Neue Testament. Er bietet keine Harmonie der Evangelien, erzählt nicht vereinfachend, vielmehr auch da fragend und unverstellt: «Aber für Homestories sind die Evangelisten nicht zu haben.» Statt «Zwischenrufe» traut sich der Autor zum Neuen Testament die Behandlung von «Zwischenfragen» zu.
Die Briefe des Paulus und anderer im Neuen Testament werden summarisch zugänglich. Selbst die Apokalypse wird nicht unterschlagen. Exemplarisch wird das «Rätsel um die Zahl 666» kommentiert und sogar mit einem Hinweis auf den Corona-Virus werden Zahlen-Spekulationen illustriert.
Die Lektüre der Bibel darf unvoreingenommen erfolgen, ist aber nie voraussetzungslos. Deshalb deklariert der Verfasser im Nachwort sein eigenes (Selbst-)Verständnis als «evangelischer Agnostiker» und formuliert Grundbotschaften, welche er mit der Bibel in Verbindung bringt.
Dieses Büchlein ist mit seiner guten Lesbarkeit und trotz oder wegen seiner anstössigen Aufmachung geeignet, der «Illiteracy», was die christliche Bibel angeht, anregend zu begegnen. Solches Unverständnis ist unter Lehrerinnen und Lehrern übrigens keineswegs neu.